Worauf muss man bei der Personalvermittlung im Bereich Softwareentwicklung achten - Interview mit Tobias Mehre
Das kirschwerk im Interview mit Tobias Mehre: Der Anruf einer Recruiterin machte ihn vom Softwareentwickler zum Coach.
Ich spreche mit Tobias Mehre über seinen Weg vom Softwareentwickler zum Coach. Tech-Stack + Skill Set = Match Stack? Was muss beachtet werden, damit ein Kandidat genau zum Unternehmen passt? Und was sollte als allererstes getan werden, um effizient und passend Softwareentwickler zu rekrutieren?
Inhalte dieser Folge:
- Klassische Fehler beim Recruiting in der Softwareentwicklung
- Welche Werkzeuge ein Softwareentwickler wirklich braucht
- Wie passende Kandidaten wirklich angesprochen werden
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Nina Kirsch: Hallo lieber Tobi, herzlich willkommen im Kirschwerk Podcast.
Tobias Mehre: Hallo Nina, schön, dass ich da sein darf.
Nina Kirsch: Na, auf jeden Fall. Vielleicht ganz kurz zu dir. Du warst viele Jahre Führungskraft in der Softwareentwicklung in einem mittelständischen Unternehmen. Und heute hilfst du als Berater und Coach Unternehmen dabei, speziell in der Softwareentwicklung, schneller und mit weniger Aufwand zu besetzen. Und ich finde es total spannend, wie du dazu gekommen bist, dass du Recruiter und Recruiterinnen und Personalberater und Personalberaterinnen coachst, damit sie ihren Job letzten Endes besser machen können. Magst du uns vielleicht erzählen, wie du dazu gekommen bist?
Tobias Mehre: Ja, sehr gerne. Eigentlich hat das Ganze damit begonnen, dass ich natürlich als Kandidat, also quasi als Teil der Zielgruppe, als Java-Entwickler durchaus auch schon häufiger genervt war von Anfragen, die so gar nichts mit meinem Profil zu tun hatten und ich mich immer gefragt habe: Wie kommt das?
Das war so der erste Berührungspunkt. Und dann später natürlich dadurch, dass ich als Führungskraft die Aufgabe hatte, mein Team auf- und auszubauen, also zusammen mit meinem Team. Und dann kommst du natürlich unweigerlich mit den Prozessen in Berührung und kommst stärker in Kontakt. Du rekrutierst auch selbst, du schreibst selbst Stellen aus und dann fängst du – wenn du wie ich bist – irgendwann an, dir Fragen zu stellen. Und vor allem, es liegt nicht in meiner Natur, mit dem Finger drauf zu zeigen und zu sagen „Ja, die sind doof“ oder „Die machen ihren Job schlecht.“ Sondern ich habe mich echt gefragt: “Können die eigentlich überhaupt leisten, was jeder von denen erwartet?” Schließlich sind es ja keine Software-Entwickler.
Man ist ja selber in seiner Bubble so drin und versteht ja oder sieht ja gar nicht – oder ist auch vielleicht in dem Moment gar nicht bereit dazu zu sehen -, ob denn mein Gegenüber das überhaupt erreichen kann, was ich von ihm erwarte. Und das war eigentlich so ein bisschen der Startschuss. Ich erzähle die Geschichte ganz gerne, weil tatsächlich eine Dame, eine Recruiterin, mich telefonisch kontaktiert hat, und die hat das aus meiner Sicht erstens so wertschätzend gemacht, und zweitens war sie so gut vorbereitet, dass ich ihr direkt ein Kompliment machen musste, direkt am Telefon. Also ich fand das echt super. Und dann sind wir auch so ins Gespräch gekommen, und das war super interessant, weil sie dann tatsächlich auch mal offen gesagt hat, dass das erstens nicht einfach ist, uns Software-Entwickler zu verstehen, weil wir… Das ist natürlich ein unglaublich weites Feld. Und zweitens, dass es auch ihr oder den Leuten in der Regel niemand beibringt. Und dann habe ich, ich würde sagen, fast schon impulsiv gesagt: „Doch ich.“
Nina Kirsch: Was? In dem Gespräch?
Tobias Mehre: In diesem Gespräch. Und so hat sich das dann entwickelt, dass wir uns tatsächlich ein paar Wochen später auf einer Karrieremesse getroffen haben, mit ihrem Chef, direkt ein Gespräch ausgemacht haben. Und das war eigentlich das Pilotprojekt des heutigen Trainings.
Nina Kirsch: Dein Ernst?
Tobias Mehre: Genau so lief das ab. Und ja, wie es halt bei einem Piloten so ist: Jetzt hockst du in der Tinte, weil jetzt musst du liefern, also du kannst ja jetzt nicht zurück, würdest ja dein Gesicht verlieren. Also habe ich mich tatsächlich hingesetzt und habe versucht, in den ersten Versionen mich tatsächlich in die Lage zu versetzen: Was wäre denn, wenn ich nicht Software-Entwickler wäre? Also was müsste ich denn eigentlich erstmal wissen?
Und habe dann eben angefangen, eine erste Version zu machen und mit denen durchzugehen. Und das waren total tolle Training-Sessions, weil auch die Dankbarkeit unglaublich stark war, weil wir natürlich einfach im Dialog waren. Und wenn du auf meine LinkedInseite gehst, merkst du das ja auch… Also, da habe ich ja auch immer stärker herausgearbeitet, dass es mir eigentlich darum geht, eine Brücke zu bauen und Dialog herzustellen, weil ich glaube, erst dann klappt das. Ja, so kam das und so hat sich das dann weiterentwickelt. Und ich glaube, ich konnte einfach in dieses Prozedere oder in diese Entwicklungsphase ganz gut einbringen, dass ich ja selber rekrutieren musste. Also ich habe ja selber aus dem Fachbereich heraus quasi – ich nenne es immer ganz gern – “Sofa Recruiting” betrieben. So nach dem Motto: Einer war auf meinem Social Media Profil, ist Zielgruppe, den schreibe ich sofort an!
Nina Kirsch: Ja.
Tobias Mehre: Und das hat gut funktioniert. Warum hat das gut funktioniert? Weil wir auf Augenhöhe miteinander reden konnten. Und da versuche ich eben, und das klappt bisher vom Feedback her ganz gut, eben meinen Kundinnen und Kunden zur Seite zu stehen, Dinge zu erklären, sodass sie genau diese Augenhöhe herstellen können.
Nina Kirsch: Also ich kann das sehr, sehr gut nachvollziehen, weil ich habe ja ursprünglich Informationsdesign studiert und war sieben Jahre lang fest angestellt im Bereich Usability Engineering, also vielleicht ganz kurz dazu, was es ist: Man sorgt dafür, dass Benutzeroberflächen intuitiv bedienbar sind, und da ist man die Schnittstelle zwischen Projektmanagement, zwischen Kunde, zwischen Design / Designer und aber auch Softwareentwicklung. Und das stelle ich immer wieder fest: Software entwickelnde Personen – wenn das gendergerecht korrekt ist -, die sprechen eine ganz andere Sprache, und ich begleite ja bis heute Unternehmen als Usability Engineer.
Und da stelle ich immer wieder fest, wie diese Menschen dann aufgehen, und wie diese Menschen sich einfach gehört und gesehen und verstanden fühlen, wenn man in Anführungszeichen deren Sprache spricht. Und das ist der entscheidende Punkt, weshalb auch nur jemand wie Du diese Schnittstelle einnehmen kann und da dafür sorgen kann, dass sie sich in Anführungszeichen gegenseitig oder miteinander verstehen.
Tobias Mehre: Absolut. Und ich glaube, oft haben wir auch das Thema… Wir neigen ja immer dazu, wir wollen es immer vereinfacht sehen, wir nehmen gerne unsere Schubladen raus und kategorisieren gerne, so nach dem Motto: Das sind alles Software-Entwickler, das sind alles User Experience Designer.
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: Und natürlich ist es verständlich, dass wir das tun, weil es uns vieles einfacher macht. Gleichzeitig wollen aber genau diese Menschen – das sind ja Experten – nicht als Einheitssuppe betrachtet werden. Sondern, sie wollen erstens, und das erlebe ich gerne, sie wollen in erster Linie auch als Mensch wahrgenommen werden. Jetzt denkt sich vielleicht der eine oder andere Hörer da draußen: “Ja, klar, wollen wir doch alle”. Aber es passiert tatsächlich sehr häufig nicht. Ich stelle mal ganz gerne im Training die Frage: Wenn ihr an Software-Entwickler denkt, was ist das Erste, was euch einfällt?
Nina Kirsch: Und was kommt dann?
Tobias Mehre: Das erste ist meistens “Nerd” und “komisch”, “seltsam” – je nach Region, wo ich jetzt gerade unterwegs bin. So, und wenn ich schon mit diesem Mindset auf Leute zugehe, dann muss es mir eigentlich fast schon schwer fallen, in ein lockeres, auf Augenhöhe stattfindendes Gespräch zu kommen. Und einerseits verstehe ich das, weil das geht uns allen wahrscheinlich auch so, wenn… Also wenn ich auf dem Mediziner-Kongress wäre, würde ich, glaube ich, auch denken “Oh Gott”, weil ich mit den Begriffen nicht viel anfangen kann. Und da beginnt quasi genau die Reise: sich erst mal mit der Zielgruppe zu beschäftigen, mit den Leuten zu beschäftigen. Warum ist denen das eigentlich wichtig, worüber die reden? Und nicht nur sagen: “Ja, das ist halt nerdig, und das machen die halt so”. Sondern wirklich mal versuchen, sich rein zu denken und zu sagen: Okay, das ist denen wichtig, weil es zum Beispiel ein professionelles Werkzeug ist. Und wenn du dich selbst als Profi siehst, dann willst du dich natürlich auch mit professionellen Werkzeugen beschäftigen und nicht mit dem Klumpatsch, sag ich mal so. Und wenn dann aber jemand um die Ecke kommt und sagt: “Ja, wieso… Das kannst du doch aber auch mit dem – keine Ahnung – Akkuschrauber vom Billig-Baumarkt reinschrauben. Dann fühlst du dich, glaube ich, nicht wertgeschätzt. Und ich glaube, das beginnt bei der Sprache, so wie du sagst, und davor beginnt es aber eigentlich schon beim Verständnis der Zusammenhänge. Also einfach die Welt ein bisschen zu begreifen, in denen sich die Leute bewegen. Ja, da setze ich an.
Nina Kirsch: Okay, jetzt hast du dich ja praktisch entwickelt: vom Studierenden zum Software-Entwickler, zur Führungskraft. Und jetzt bist du Coach. Und wie wird man das?
Tobias Mehre: Ja, das ist lustig. Hatte ich so nicht auf der Agenda. Also vor allem nicht Coach. Trainer habe ich schon immer irgendwie so auf dem Schirm gehabt, weil ich ja auch direkt nach meinem Masterabschluss Dozent an der Hochschule war. Also dieses Thema “Unterstützen, Mentoring”. Ich sage jetzt mal Wissensweitergabe oder Informationsweitergabe. Das ist schon länger bei mir so in der Vita drin. Aber Coach ist echt ein neues Element gewesen. Tatsächlich war der Ursprung eigentlich meine Erfahrung mit mir selbst als Führungskraft. Ich war nicht zufrieden mit mir als Führungskraft, weil mir schlicht und ergreifend an vielen Stellen das nicht gelungen ist, was in den Büchern über Führung so steht. Also da stehen ja immer so tolle Dinge drin wie: Du sollst wertschätzend Gespräche führen. Ja, das klingt schön. Ja, aber wie? Wie mache ich denn das, wenn mir der Kittel brennt? Ja, wie mache ich denn das, wenn ich eigentlich – wenn ich ehrlich mit mir selbst bin – in dem Moment voll unter Strom stehe, unter Stress stehe, weil ich eigentlich einen vollen Schreibtisch habe? Wie mache ich das dann? Und da hat eigentlich tatsächlich die Reise begonnen. Ich glaube, du hast das ja auch in einem der Podcasts angesprochen, mit Andreas.
Nina Kirsch: Im Interview mit Andreas Zaiß.
Tobias Mehre: Hier ist der ominöse Tobi.
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: Tatsächlich war es ja so: Ich war gestresst. Und jetzt könnte ich es mir wiederum einfach machen und sagen “Es lag an meinen Chefs” oder “Es lag an der Struktur, alles ist doof”. Für mich war aber tatsächlich eine wesentliche Erkenntnis, dass es ganz viel einfach mit mir zu tun hatte. Also dass ich vielleicht auch nicht das tue, was ich tun möchte. Und da hat eigentlich…
Nina Kirsch: Okay.
Tobias Mehre: … die Sache begonnen. Ich sehe mich, oder ich möchte, glaube ich… Das ist so ein bisschen mein Glaubenssatz: Ich sehe mich eher als Coach, wie als klassische Führungskraft. Also ich würde heute sagen, ich sehe mich eher in dem Leader Bild. Wobei ich finde, das ist auch alles sehr, sehr stereotypisch für mich. Es ist einfach so: Ich habe für mich begriffen, meine Stärke liegt nicht darin, den Leuten jetzt Vorgaben zu machen – und wenn ich das muss, tue ich mich schwer -, sondern meine Stärke liegt, glaube ich, darin, ein Umfeld zu schaffen, wo wir gemeinsam was bewegen können, aber ich nicht unbedingt voran rennen muss. Sondern es geht darum, dass ich befähigen, unterstützen kann in etwas. Und das war…ist mir erst klar geworden, als ich dann im Führungsteam war und dort mich mit mir selbst beschäftigt habe, später dann aber tatsächlich so angetörnt war und angefixt war von dem Angebot von Andreas Zaiß und seinem Team, dass ich gesagt habe: Ich möchte Coaching Ausbilder machen, und da ist es mir schon aufgefallen, dass sich meine Art zu führen, verändert.
Nina Kirsch: Und trotzdem bist du dabei geblieben, dass du gesagt hast: “Nee, Führungskraft ist nicht so meins, sondern ich möchte mit den Leuten mitgehen, praktisch in die Befähigung gehen.”
Tobias Mehre: Richtig. Und dann ist mir eigentlich auch wieder klar geworden, dass ich immer wieder solche Punkte in meiner Vita hatte, dass mir das wichtig war und ich es irgendwo auf der Strecke verloren hatte. Dieses Element in meinem beruflichen Werdegang, und das war tatsächlich auch das, wo ich sehr viel nachgedacht habe. Das Tolle an der Coaching-Ausbildung ist ja, dass man tatsächlich seine Themen bearbeitet. Und ich habe mich… Ich habe im Endeffekt mich ein bisschen gedanklich auf links gedreht und mal angeguckt und reflektiert und überlegt: “Warum warst du denn eigentlich zeitweilig unzufrieden?” Und das hat natürlich auch das Umfeld irgendwann gemerkt, und das hat dann irgendwann auch tatsächlich dazu geführt, dass ich mich irgendwann entschieden habe, dass ich auch beruflich neue Wege gehen will. Bis dahin, dass ich heute tatsächlich nicht mehr wirklich Software-Entwickler im eigentlichen Sinn bin. Also ich habe jetzt schon eine ganze Weile keinen Java Code mehr produziert, sondern ich mache jetzt andere spannende Automatisierungs-Dinge und bin dort aber auch in einem Setting, sowohl jetzt eben in meiner Tätigkeit als Technical Automation Specialist – das klingt ja immer so – …
Nina Kirsch: Oh.
Tobias Mehre: Also ich automatisiere Dinge, Prozesse. Aber natürlich auch in meiner Rolle als Trainer, da finde ich mich, und da merke ich einfach, da bin ich angezündet, da habe ich Bock drauf. Da macht es mir einfach auch Spaß, im Dialog zu sein. Und im Endeffekt habe ich eins erkannt in dieser ganzen Reise: Dass mir eines unglaublich wichtig ist, und das ist zu lernen, immer wieder dazuzulernen. Und der Schlüssel zu lernen ist, Gespräche zu führen und vor allem auch Gespräche mit Leuten zu führen, die vielleicht nicht unbedingt aus der eigenen Bubble kommen.
Nina Kirsch: Ja, gerade dann nicht. Dann kann sich ja der Horizont erst wirklich erweitern, oder?
Tobias Mehre: So ist es, so ist es. Und so habe ich tatsächlich irgendwann auch diese HR entdeckt. Ich finde es sogar viel schöner mittlerweile, das ganze Thema People, Culture. Also diese Begriffe sind mir näher als HR, muss ich sagen. Weil es geht am Ende um Menschen. Menschen in Rahmenbedingungen zu bringen, für die Mitarbeitenden, aber auch für die Chefs. Weil ich habe zum Beispiel ein großes Problem mittlerweile damit – mich triggert es auch, das merke ich -, wenn man sich das so einfach macht und sagt: Na ja, gut, die Mitarbeitenden verlassen nicht das Unternehmen, sondern schlechte Führungskräfte…
Nina Kirsch: Ah, okay.
Tobias Mehre: Das ist so, aber ich glaube, wenn wir die Diskussion so führen, dann müssen wir auch die Diskussion führen, wie Führungskräfte denn zu Führungskräften werden. Und es ist eben leider sehr häufig – ich habe es in meinem Umfeld, bei mir selbst erlebt -, dass es oft nichts mit Befähigung zu tun hat, sondern eigentlich eher mit dem Umstand: “Okay, du bist fachlich ganz gut, und du musst jetzt nicht unbedingt im Keller sitzen, um deine Arbeit zu machen. Du kannst vielleicht auch mal zwei, drei Sätze äußern, also wirst du Führungskraft.”
Nina Kirsch: Also, wenn man jetzt in bestimmte Branchen schaut, dann sind es oft tatsächlich die Fachexperten.
Tobias Mehre: Genau.
Nina Kirsch: Aber das sind nicht zwangsläufig gute Führungskräfte. Aber vielleicht heben wir uns das für eine andere Podcastfolge auf.
Tobias Mehre: Sehr gern.
Nina Kirsch: Schon mal Notiz gemacht. Genau. Kommen wir noch mal zurück aufs Recruiting. Was würdest du denn sagen? Was sind aus deiner Sicht jetzt allgemein gesprochen klassische Fehler, die da im Recruiting gemacht werden? Was fällt dir da so auf, oder was fiel dir auf?
Tobias Mehre: Also, was ich so wahrnehme: Ich finde den Begriff Fehler immer so ein bisschen… das ist klar, das ist wirksam. Aber was mir auffällt, wenn ich es beobachte, wenn es nicht so gut klappt, ist, dass es oft schon damit beginnt, dass eigentlich gar nicht so richtig klar ist, wer denn da gesucht wird. Und mit “Wer” meine ich eben das komplette Paket. Ich rede immer ganz gern von einem “Match Stack”, also nicht nur Tech Stack oder Skill Set, sondern wirklich Match Stack. Also: Was muss diese Person in seiner Gesamtheit ausmachen, damit er zu uns als Unternehmen passt?
Nina Kirsch: Also, wie so eine Art Avatar oder wie so eine Persona aus dem Usability Engineering.
Tobias Mehre: Ja, wird man so machen. So arbeite ich auch ganz gern. Zumindest als Ausgangspunkt, dass man sich einfach mal im Klaren ist: Wer passt zu uns, was muss der können, oder was muss sie können? Und da drauf aufgesetzt auch eine gewisse Strategie. Warum brauchen wir den eigentlich? Wir sind sehr, sehr häufig reaktiv. Uns fällt dann auf: “Oh Mist, wir brauchen ja Leute für das, was wir uns vorgenommen haben”, und dann rennen wir los. Aber statt, dass wir im Vorfeld erst mal sagen: “Okay, wie sieht denn eigentlich unsere Strategie aus, wo wollen wir hin, welche Leute brauchen wir dafür, was müssen die kennen?” Und dann passiert meistens eins, weil wir dann den Aufwand scheuen: Dann machen wir eine Stellenanzeige, und dann suchen wir die Eierlegende.
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: So, da ist dann alles drin. Also aus Sicht des Fachbereichs sogar gut, weil das ist auch was, was ich gern transportiere. Ich kann ja jetzt nun die Brille auch aufsetzen.
Nina Kirsch: Ja, genau.
Tobias Mehre: Wenn man mich fragt, was sollte die Person denn können? Dann packe ich erst mal meinen Werkzeugkoffer aus, und zwar alles. Wenn nicht jeder davon… Also der braucht das nicht jeden Tag, oder die Person braucht es nicht jeden Tag. Aber wenn ich jetzt so gefragt werde, und sage: Ja, einmal im Jahr, muss der vielleicht auch in unserer Umgebung was machen. Also schreibe ich Cloud Computing hin. Und der muss… Natürlich muss er programmieren. Und ja, wir haben auch noch ein, zwei Stück Software in einer anderen Programmiersprache, also schreibe ich das auch mal hin, weil er sollte sich da vielleicht mal auch bewegen können. So nach dem Motto.
Nina Kirsch: Ich mach halt einen Wunschzettel.
Tobias Mehre: Genau. Und dann gibt es nämlich genau den Wunschzettel.
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: Und jetzt kommen interessante Effekte. Entweder ist, ich sage jetzt mal die Personalexperten-Seite dann so, dass sie die Marketing-Brille aufsetzen, und dann sagen: “Ja, das streichen wir alles raus, oder das wird nicht gesucht”. Auch schön. Ergebnis ist dann oft, dass halt die falschen Bewerbenden kommen. Also sprich, es passt halt nicht mehr zum eigentlichen fachlichen Profil. Oder es gibt die andere Brille, die dann quasi unreflektiert sagt: “Na ja, gut, der Fachbereich hat gesagt, wir brauchen das. Also kommt genau dieser Wunschzettel so auf die Webseite”.
Nina Kirsch: Genau. Ja.
Tobias Mehre: Also, das fällt mir auf. Das passiert sehr häufig.
Nina Kirsch: Also, wenn ich das mal kurz zusammenfasse: Punkt 1 – überhaupt Zielgruppen Definition. Punkt 2 – Strategie. Also vielleicht nicht in der Reihenfolge, aber die beiden Punkte, dass sich da viele nicht so Gedanken vielleicht drüber machen. Und Punkt 3 – einfach auch im Zuge der Strategie dann differenzieren. Was ist denn mit: “Passt denn der Mensch überhaupt auch in mein vorhandenes Team?” Das würde so in Richtung Strategie gehen.
Tobias Mehre: Ja, absolut. Das ist eine Frage, die muss mit geklärt werden. Und was dort häufig fehlt, ist: Wen sollten wir denn fragen? Also der Hiringmanager ist vielleicht eine wichtige Informationsquelle, aber nicht die einzige. Ich sollte vielleicht auch mal ein paar Entwickler*innen, Mitarbeitende in der Softwareentwicklung befragen, was die denn glauben, wie welche Lücke vielleicht im Team geschlossen werden sollte. Ich plädiere dafür, dass man alle Quellen anzapft und auch wirklich versucht, im Dialog zu erarbeiten, wirklich Hand in Hand. Also wirklich sich die Hände reichend, Hand in Hand zu erarbeiten: Wo soll’s hingehen? Wo gehen wir als Unternehmung hin? Was für Menschen benötigen wir dafür? Wir haben ja auch unterschiedliche Aufgaben und unterschiedliche Phasen, in denen wir uns bewegen. Es gibt ja, ich sag’s jetzt mal schlicht und ergreifend, Daily Work. Und das muss auch jemand machen. Wir können auch nicht immer nur über Leuchtturmprojekte und grüne Wiese reden, sondern es gibt halt auch einfach die vielleicht etwas langweilig anmutende tägliche Arbeit, die aber auch gemacht werden muss. Und da gibt es auch Menschen, die das gerne tun, die sich da wohlfühlen, die nicht jede Woche was Neues wollen. Genauso wie es die Menschen gibt, die sagen: Wenn ich eigentlich zwei Tage dasselbe machen muss, kriege ich schon Plaque.
Nina Kirsch: Genau. Und da sind wir wieder bei dem Punkt: Was will ich eigentlich wirklich? Da ist ja auch wichtig erst mal, dass das Unternehmen sich reflektiert und dass auch die Bewerbenden, die da irgendwo vielleicht schon in der Reflexion sind, aber vielleicht auch eingeladen werden dazu, in die Reflexion zu gehen.
Tobias Mehre: Absolut. Das war dann im Endeffekt für mich dann auch der letzte konsequente Schluss, warum ich gerne auch das “Entwicklerglück Coaching” dann begonnen habe.
Nina Kirsch: Ja, cooler Name.
Tobias Mehre: Also einfach den Leuten zu helfen, vielleicht auch erst mal zu erkennen, was sie denn wollen. Weil es ist immer einfach… Wir stecken sehr schnell im “Alles-Blöd-Modus”, in dem “Weg-Von-Modus”. Wir tun uns aber auch sehr schwer mit der Frage: Wo soll es denn eigentlich hingehen? Und wenn wir einen Match wollen, dann müssen auf beiden Seiten genau diese Fragen ja geklärt sein. Weil, wenn man mal die Kandidatenseite anguckt: Selbst, wenn alles, was das zukünftige Team da ausgeschrieben hat, ansprechend ist, heißt es noch nicht, dass es am Ende wirklich ein Match wird. Weil, wenn der Startschuss für diesen Prozess ein “Weg-Von”-Szenario ist, ohne dass das “Hin-Zu”-Szenario geklärt ist, dann ist es immer noch recht wahrscheinlich, dass vielleicht die Rahmenbedingungen des “Weg-Von’s”, sage ich mal, wo man herkommt, vielleicht dort auch wiedergegebenen sind.
Nina Kirsch: Ja, richtig.
Tobias Mehre: Und von daher glaube ich, gehören all diese Bausteine für mich irgendwie zusammen. Was vielleicht auch ein kleiner Fehler bei der ganzen Geschichte ist – wenn man den Prozess bis hinten raus dann auch echt anguckt -, dass das natürlich nicht wertschätzend ist und auch alles andere als förderlich für die Motivation, wenn man dann drei Wochen nichts hört.
Nina Kirsch: Ja, absolut.
Tobias Mehre: Also, ich glaube, da geht es einfach weiter. Man muss das, glaube ich, von vorne bis hinten konsequent offen und ehrlich leben, besprechen, aufeinander zugehen und im Dialog bearbeiten. Und ich glaube, dann klappt das auch mit der erfolgreichen Einstellung.
Nina Kirsch: Absolut. Und das Spannende, finde ich, was man gerade bei dir auch heraushört, wenn du das so beschreibst, ist ja wirklich ein Prozess, wo man sich intensiv damit befasst. Die meisten Unternehmen, also mittlere bis kleinere schon auch, aber vor allem mittlere bis größere Unternehmen, kennen diesen Prozess, kennen den in- und auswendig, nämlich wenn es darum geht: Wie finde ich Neukunden? Da setzt man sich stundenlang zusammen in einem interdisziplinären Team, von dem du auch gesprochen hast und schmiedet Strategien und schaut: Wer ist meine Zielgruppe? Wie genau ist unsere Strategie? Wie gehen wir dann Schritt für Schritt vor? Und wir fragen alle, die nur annähernd damit zu tun haben: Was sind deine Meinungen, was sind deine Aspekte dazu, um den Gesamtprozess dann zu einem Erfolg zu führen. Und letztendlich ist es genau das Gleiche, was wir heute eben einfach im Recruiting auch machen dürfen, weil sich diese Marke einfach gewandelt hat.: Vom Arbeitgebermarkt hin zum Arbeitnehmermarkt.
Tobias Mehre: Bin ich absolut bei dir, Nina. Das ist die Candidate Journey oder die Employee Journey. Jetzt kommt es immer darauf an, welchen Teil des Prozesses man dann in den Fokus nimmt. Ich denke mal Employer, Employee, also Employer Branding, Employee Journey: Das sind einfach Aspekte, die sind ja letztendlich aus dem kundenorientierten Marketing angelehnt. Ohne das geht es nicht. Und ich habe tatsächlich mal vor einem Jahr oder so… In einem Telefonat sind wir da drauf gekommen, da haben wir gesagt: Was würde denn eigentlich passieren, wenn wir unsere Mitarbeitende wie Kunden behandeln würden?
Nina Kirsch: Ganz genau.
Tobias Mehre: Und genau das zahlt auf dieses Konto ein, dass du gerade angesprochen hast. Auf der einen Seite machen wir einen Riesenaufwand und Trubel und Prozessoptimierung Funnels und sonst irgendwas, um Kunden zu gewinnen, haben aber ganz oft noch nicht verstanden, dass Mitarbeitende ein elementarer Schlüssel zur Bedürfnisbefriedigung auf Kundenseite sind und damit eigentlich das gleiche Recht hätten, genauso umworben zu werden.
Nina Kirsch: Absolut. Jetzt sind wir irgendwie schon wieder vom Weg abgekommen, aber nichtsdestotrotz super spannend. Genau. Kommen wir noch mal ein bisschen kurz zurück, Software-Entwickler und Software-Entwicklerinnen zu rekrutieren. Jetzt hast du ja sehr, sehr viel mit Personalberatern und auch Recruiting zu tun. Hast du da vielleicht einen Eindruck gewinnen können, was für allgemeine Punkte oder auch besondere Punkte in der Ansprache in Richtung Software-Entwicklern da fast immer zu kurz kommen?
Tobias Mehre: Ich glaube, was häufig ein Problem ist, ist die fehlende Kompetenz, das Profil, den Lebenslauf in seiner Gesamtheit zu verstehen von dem Menschen. Es ist sehr häufig – erlebe ich halt noch -, weil man eben nicht aus diesem Fachbereich kommt, vielleicht auch, wenn man noch recht jung ist in dieser Aufgabe, dass dann schlagwort-basiert angeschrieben wird. Also ein Beispiel, das erzähle ich ganz gerne aus meinem Netzwerk.: Eine sehr sympathische Dame, die – sage ich mal so – im Feld Cybersecurity unterwegs ist und die hat halt ein Werkzeug, also ein Tool, das Cybersecurity-Spezialisten nutzen, in ihrem LinkedIn Profil stehen. Und da steht halt Linux.
Nina Kirsch: Okay.
Tobias Mehre: Und angeschrieben wurde sie für eine Linux-Administratoren-Stelle, weil da steht halt Linux.
Nina Kirsch: Ja, okay.
Tobias Mehre: Jetzt müssen wir fair sein. Ähm, also es wäre nicht gerecht, wenn wir diese Kritik jetzt quasi über den ganzen Berufsstand der Recruiter und Personalberater da draußen stülpen würden. Da gibt es richtig Gute, die sich richtig Arbeit machen, bis hin zu… So wie es im Sales halt auch ist. Es gibt die richtig guten, vorbereiteten, das ist da. Aber das beobachte ich schon… Wenn man auch in den Social Media Kanälen mal so ein bisschen rein horcht, wenn sich Entwickler mal zu Wort melden, was sie ja gar nicht so häufig tun…
Nina Kirsch: Ja.
Tobias Mehre: Aber wenn Sie sich zu dem Thema Personalprozesse zu Wort melden, dann kommen die Personalexperten nicht immer sehr gut weg. Und wenn man diese Beiträge dann mal ein bisschen versucht, selbstkritisch zu bewerten, dann kriegt man eigentlich auf dem Silbertablett serviert, was man so tun sollte.
Nina Kirsch: Ja, stimmt.
Tobias Mehre: Also, ich mache gerne mal die Sales Analogie. Wenn ich dich anrufe und sag: “Hallo, Nina. Kannst du ein Training gebrauchen?” Dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass du zu mir sagen wirst: “Ja, danke, Tobias, dass du mich heute anrufst, weil ich… Eigentlich will mir nie jemand was verkaufen. Danke, dass du mir jetzt was verkaufen möchtest.” Nein, so läuft es nicht. Finden wir alle ätzend. Tatsächlich passiert es aber so. Ich kriege ganz oft einen Job angeboten. Warum kriege ich denn nicht mal eine Frage angeboten? Also: “Hi, ich habe gesehen, deine Vita lässt darauf schließen, Du warst jahrelang in der Java Entwicklung unterwegs. Wie sieht es denn aus? Hast du aktuell Interesse, Dich beruflich zu verändern und wenn ja, wie?”
Nina Kirsch: Genau. Das drückt einfach was ganz anderes aus. Es drückt Interesse und Wertschätzung aus.
Tobias Mehre: Genau. Und dann kann man natürlich dagegen argumentieren. Und das wird auch häufig so sein, dass viele Leute sagen werden: Nein.
Nina Kirsch: Ist ja aber auch legitim. Wenn man sich nicht verändern will.
Tobias Mehre: Genau. Und dann brauchen wir doch nicht weitermachen. Also dann… Dann stören wir uns nicht weiter. Und wir können doch trotzdem vernetzt bleiben.
Nina Kirsch: Ja, wir können trotzdem Freunde sein.
Tobias Mehre: Ja, es klingt tatsächlich albern, aber es ist auch so. Und das ist auch, glaube ich, ein wichtiger Schlüssel. Dass auch in diesem Element, gerade in der Ansprache von Software… Das gilt, glaube ich, sogar außerhalb der Softwareentwicklung auch, ich bin aber halt natürlich in dieser Bubble Softwareentwicklung, Informatiker, ITler verstärkt unterwegs, und da habe ich so manchmal den Eindruck, dass die da halt vielleicht noch ein Stück weit allergischer darauf reagieren. Aber das mag auch einfach eine subjektive Wahrnehmung sein. Also zusammengefasst: Ich glaube wirklich, dieses Schlagwort-Basierte reinzuhauen, so nach dem Motto “Ich hab halt Java gelesen, also wirst du wahrscheinlich auch irgendwie einen Java Job suchen”, finde ich kritisch. Weil das halt eher dieses Modell ist: Ich verkaufe dir was, ich weiß aber eigentlich gar nicht, was du brauchen wirst.
Das ist sicherlich ein Element. Das zweite Element ist: Verstehe ich denn eigentlich wirklich? Also, wenn es zum Gespräch kommt. Verstehe ich eigentlich, was der mir gerade sagt? Oder sie, wenn sie sagt: “Ja, ich habe jetzt lange Java Entwicklung gemacht, aber der Text ist einfach echt veraltet vor Legacy und ich würde jetzt gern Machine Learning machen”. Dann habe ich ja jetzt schon die Erwartungshaltung aus Kandidaten-Brille raus. Wenn jetzt da ein Dialog entsteht, dann habe ich ein echtes Gefühl, dass jemand für mich vielleicht auch echt jetzt eine Chance eröffnen kann in einem tollen Unternehmen oder so was.
Nina Kirsch: Genau, ja.
Tobias Mehre: Aber wenn ich das Gefühl habe, dass quasi gegenüber kommt: „Machine Learning ja, ja, klar.“ Ja, dann denke ich mir okay, da geht jetzt quasi das große Keyboard Matching in Gedanken los.
Nina Kirsch: Ja, genau.
Tobias Mehre: Und es geht aber eigentlich nicht mehr um das, was ich möchte. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge. Es gibt da auch ganz andere Meinungen dazu. Aber ich glaube, in einer Profession, die ja Softwareentwicklung durchaus ist, also zumindest, wenn man sie als professionelle Aufgabe begreift, dann will man… oder dann ist es einfach wertvoll und wichtig, dass man das auch professionell besprechen kann und sich auf Augenhöhe miteinander über dieses Thema aussprechen kann. Wie man sich entwickeln könnte, wo wirklich Potenziale sind. Und dafür ist es, glaube ich, wichtig, dass man auf beiden Seiten ein gewisses notwendiges Know-how eben auch aufbaut. Also Sprache ist das eine. Aber, um die Sprache sprechen zu können, muss ich, glaube ich, auch einfach verstehen, was macht so jemand den ganzen Tag? Also mit was arbeitet der? Welche Probleme löst die Person? Und da habe ich zumindest im Bereich der Softwareentwicklung vielleicht auch natürlich ein sehr schweres Feld. Open Source, gerade im Java Umfeld… Es gibt 100.000 Frameworks, also es sind noch deutlich mehr, und da wäre es auch schwierig, sage ich mal, alle zu kennen.
Nina Kirsch: Aber es geht… Es geht ja ums Grundprinzip, es geht darum die, die Basis zu verstehen. Und da bist du ja unser Erklärbär für Software.
Tobias Mehre: Da habe ich mal einen rausgehauen.
Nina Kirsch: Ja, ja, der ist geblieben. Darum geht es natürlich auf der einen Seite, aber – das ist jetzt eine Hypothese – es geht doch vor allem auch darum: Wenn mich so jemand anschreibt oder mit mir spricht, kommuniziert in irgendeiner Art und Weise, dann möchte ich doch – das hast du ja vorhin schon gesagt – auch als Mensch verstanden werden. Ich möchte auch, dass derjenige mich ernst nimmt und darauf eingeht: Was geht so ab bei mir? Und da sind wir vielleicht ein bisschen bei Stereotypen, aber das ist überhaupt nicht despektierlich zu verstehen. Weil ich schon den Eindruck habe, dass Personen die Softwareentwicklung machen, dass die – also ganz oft – schon so eine besondere Art oder eine bestimmte Art Mensch sind. Und als HR Person sollte ich einfach auch dafür ein Gespür haben und auch mit den Menschen entsprechend umgehen können, oder?
Tobias Mehre: Absolut. Software-Entwickler sind mehr als der Tech Stack.
Nina Kirsch: Ja, genau. Genau darauf wollte ich hinaus.
Tobias Mehre: Also es ist auf jeden Fall so. Ich finde mal ganz schön, wenn man nicht so arg lange immer schaut, was ist alles schlecht und so weiter, sondern wenn man sich auch die Frage stellt: “Okay, was könnten wir denn jetzt anders machen?” Genau, ich glaube, da stellt sich insofern… oder: Der Ansatz, den ich da recht angenehm finde, ist: Der Tech-Stack ist wichtig, weil das ist der Werkzeugkoffer, mit dem ich den ganzen Tag arbeite. Und es ist tatsächlich für den Menschen schrecklich. Also ich mache immer im Training gerne das Beispiel, dass ich sage: “Stellt euch vor, ihr sitzt jeden Tag da. Eure Aufgabe ist es, einen Baum zu fällen. Ihr seht neben euch eine Motorsäge den ganzen Tag. Ihr seht immer wieder diese Motorsäge, aber man zwingt euch, mit der Nagelfeile den Baum zu fällen.”
Nina Kirsch: Ja, genau.
Tobias Mehre: Und das ist etwas, das passiert in diesem Umfeld. Das passiert vermutlich auch in anderen Umfeldern. Aber in der Softwareentwicklung fällt es mir halt auf, dass ein ungünstiger Tech-Stack natürlich sehr häufig zumindest ein Motivations-Killer sein kann. Dann kommt natürlich gerne das Argument: “Ja, aber wir können den Tech-Stack nicht ändern.” Dann sage ich sicherlich: “Nicht von jetzt auf gleich”, aber da schließt sich der Kreis in Richtung Strategie. Also, ich kann mich natürlich hinsetzen und sagen: “Ja, ist alles doof”. Oder ich kann natürlich sagen: “Okay, ich stelle fest, mit dieser Technologie werde ich an Grenzen stoßen.” Und dann ändert sich auch mein ganzes strategisches Doing, sage ich mal, dann habe ich viel früher auf dem Schirm, dass ich vielleicht auch einen technologischen Shift angehen muss. Und ich kann vor allem… Und das ist, glaube ich, etwas, was man gerne vergisst: Wie werden die meisten Software-Entwickler, zumindest wie ich sie in meinem Umkreis wahrnehme, denn zu Software-Entwicklern? Die sind ja meistens experimentierfreudige, lernende Menschen. Die ziehen sich in der Freizeit Tutorials im Netz rein und bauen dieses nerdige Zeug. Und jetzt kommen die in ein Unternehmen und denen wird dann sukzessive, oft durch die Strukturen, aberzogen, lernend und nerdig zu sein.
Nina Kirsch: Ja. Neugierig.
Tobias Mehre: Und neugierig zu sein… Weil man dann immer sagt: “Ja, ich finde es total cool, wenn ihr innovativ seid, kreativ. Aber die Tools können wir nicht einsetzen”. Und ich glaube, dass da schon ein Schlüssel liegt. Jetzt sind wir bei dem “Was könnte denn Entwicklerinnen und Entwickler da draußen vielleicht begeistern?” Und ich glaube, das ist ein lernorientiertes Umfeld. Also wenn ich quasi die Möglichkeit gebe. Und mit lernorientiert meine ich bitte nicht zu sagen: “Ja, wir haben ja LinkedIn Learning.” Nein, das ist nicht lernorientiertes Umfeld. Sondern dass ich Rahmenbedingungen schaffe, wo ich mal was ausprobieren darf. Also, da gibt es ja verschiedenste Formate wie Laboratory Days, wo ich quasi so ein bisschen einfach mal was ausprobieren kann, eine Technologie mir anschauen kann, ohne dass es sofort wirtschaftlichen Durchbruch erzielen muss. Und das sind Begeisterungsfaktoren. Und das machen tatsächlich deutlich mehr Unternehmen als die, die es auch kommunizieren, dass sie es machen.
Nina Kirsch: Ah, okay: Tue Gutes und rede darüber.
Tobias Mehre: Ja, das ist tatsächlich noch mal was. Viele wollen nicht drüber reden oder denken gar nicht daran, dass man da drüber reden könnte. Aber ich glaube schon, dass es sehr wertvoll ist, wenn man so was schon tut, dass man das auch nach außen trägt. Es gibt viele Unternehmen, die machen das. Die lassen auch ihre Entwicklerinnen und Entwickler da draußen Blogartikel schreiben. Natürlich ist es so, dass man darauf achten muss, wo… Also diese Person und jetzt sind wir wieder bei den Personen – nicht jeder Entwickler und nicht jede Entwicklerin möchte Blogartikel schreiben.
Nina Kirsch: Klar.
Tobias Mehre: Aber wenn ich mal in mein Team rein horche und sie nicht nur als Code produzierende Maschinen betrachte, sondern auch als diese gesamtheitlichen Menschen, wie sie nunmal sind: Genau dann könnte da vielleicht auch das Potenzial schlummern, dass zum Beispiel wirklich eine Kollegin oder ein Kollege sagt: “Du, ich hätte eigentlich total Bock auf Podcasting.”
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: Und ich würde das sogar sehr gerne machen. Ja, aber privat fehlt mir die Zeit so.
Nina Kirsch: Genau.
Tobias Mehre: Und dann, sage ich mir, hast du alles auf dem Tablett, was du nutzen kannst, um so eine Lern-Kommunikation als experimentierfreudiges Setting aufzubauen. Ich glaube, wir sind uns einig. Natürlich müssen die harten Rahmenbedingungen wie ein ordentliches Gehalt und so weiter… Klar, das muss auch gelten. Aber ich glaube schon, dass wenn ich mich als Entwickler entscheiden müsste, ob ich jetzt “Team Sitzsack” wäre oder “Team Experimentierfreudigkeit”, dann würde ich lieber länger arbeiten und experimentieren, als Tischkicker und meinen Sitzsack anzugucken.
Nina Kirsch: Schön zusammengefasst. Magst du noch ganz kurz und einen Einblick darin geben, wie denn so ein Training oder ein Coaching mit dir aussehen könnte, damit wir das ein bisschen plastischer haben?
Tobias Mehre: Im Prinzip gehen wir einmal durch den Prozess der Softwareentwicklung durch. Also, wir gucken uns quasi an, welche Phasen durchläuft Softwareentwicklung, welche Prozesse laufen da ab? Da kommen dann Begrifflichkeiten wie Scrum oder Kanban, was so die agilen Ansätze sind, oder eben auch noch klassische Ansätze, Wasserfall V Modell. Wie ist so der generelle Ansatz? Was ist ein Produkt-Lebenszyklus? Und was ich auch gerne schildere, sind die sogenannten Ökosysteme… Für mich ist Softwareentwicklung so ein großer Begriff, und dann gibt es eben Ökosysteme wie Embedded Softwareentwicklung. Und innerhalb der Embedded Softwareentwicklung gibt es wieder Automotive zum Beispiel oder Life Science. Und da sind einfach gewisse Nuancen, Prozesse, Rahmenbedingungen anders. So, und das diskutieren wir interaktiv. Also von mir gibt es immer so ein bisschen den inhaltlichen Impuls, und dann versuche ich auch immer im Training dann in den Dialog zu gehen, zu sagen: Wie habt ihr das erlebt? Und was ganz wichtig ist: Wir verbinden das dann immer wieder mit einer konkreten Stelle, also wirklich eine Stellenausschreibung, die wir dann vor Augen haben und besprechen das daran: Warum ist das jetzt wichtig? Also in welcher Phase ist das wichtig? Und dann gehen wir natürlich auch die Rollen durch, die an so einem Prozess beteiligt sind, weil wir reden ja gerne von den Software-Entwicklern, aber es gibt da natürlich auch Datenbank Entwickler, Backend, Frontend, Full Stack, also die ganzen Begrifflichkeiten, die nehmen wir mal in den Fokus und besprechen, was verbirgt sich dahinter und was ist vielleicht auch missverständlich. Und dann gehen wir natürlich so ein bisschen auf die Unterschiede der Programmiersprachen ein, weil auch die bauen wiederum Ökosysteme auf. Versionierung von Softwareentwicklung im Team ist ein Thema, weil wenn man heute so ins Netz guckt, dann kann man ja die Meinung haben oder den Eindruck gewinnen, alle finden agile Softwareentwicklung super, und das ist das Nonplusultra.
Nina Kirsch: Ist differenzierter zu betrachten, glaube ich.
Tobias Mehre: Aber ich glaube, das muss man differenzierter betrachten, weil es ist schlichtweg nicht jedes Menschen Ding. So muss man es einfach sagen. Und das versuchen wir eben dort zu beleuchten. Immer. Der Aufhänger ist für uns dann immer dieses Praxisbeispiel von 1,2,3 konkreten Stellenprofilen. Wo wir dann aber auch zum Beispiel die Brille des Hiring Managers aufsetzen, soweit ich sie zumindest natürlich transportieren kann. Ich bin jetzt nicht jeder Hiring Manager, aber so Gedanken wie zum Beispiel: Hey, wenn ich dir diese Liste, also diese Liste von Anforderungen schicke, dann heißt das nicht zwangsläufig, dass das alles Must-Haves sind, sondern das ist mein Wunschzettel. Also das ist mein Werkzeugkoffer mit allem, was da drin ist. Und ich baue auch ein bisschen darauf, dass du mir dann wiederum widerspiegelst und sagst: Da müssen wir ein bisschen aussieben, sodass dann der Dialog entsteht. Und da versuche ich quasi genau dieses Setting in diesem Training herzustellen, dass genau das passiert, weil es ja augenscheinlich da draußen nicht so häufig ist und nicht bei jeder Vakanz, die zu besetzen ist, passiert.
Nina Kirsch: Absolut.
Tobias Mehre: Das Ganze läuft rein online. Das ist vielleicht auch eine charmante Information. Und ich habe da so quasi in einem Microsoft Team Setting dann auch das ganze Material. Da können die dann auch nachlesen, können dann auch natürlich während dem Training, also zwischen den Sessions, Fragen platzieren, die man dann wieder aufgreift. Also Interaktivität gewinnt immer über ”Hauptsache wir haben den Stoff durchgebracht”.
Nina Kirsch: Ja, na klar. Nur so nehme ich ja die Sachen auch wirklich mit und kann sie nachher auch anwenden. Also ich weiß nicht, wie viele Online Kurse ich schon gekauft habe und – wenn überhaupt – durchgearbeitet habe und nachher dann immer noch unzufrieden war. Weil mein genaues Problem hat es halt doch nicht gelöst, und ich konnte nicht in die Umsetzung gehen. Insofern bin ich voll bei dir. Allerliebster Tobi, wir nähern uns dem Ende, und wie ich das auch bei meinen anderen Interviewpartnern mache, würde ich auch dir eine letzte spannende Frage stellen, und zwar: Was sollten denn jetzt die Hörer und Hörerinnen, die dieses genau zu ihrem Thema haben, die das genau als Herausforderung haben (effizient und passend Software-Entwickler und Software-Entwicklerinnen zu rekrutieren), was sollten die unbedingt als allererstes tun, damit sie da in die richtige Richtung gehen? Damit sie da besser werden?
Tobias Mehre: Redet so viel wie möglich mit Software-Entwicklern und Software-Entwicklerinnen, ohne einen direkten Job anzubieten.
Nina Kirsch: Ah. Also mit den Kandidaten?
Tobias Mehre: Ja.
Nina Kirsch: Ich mag diese letzte Frage. Das bringt nochmal echt was richtig Cooles aufs Tableau.
Tobias Mehre: Vernetzt euch. Redet mit denen. Erlebt die Zielgruppe.
Nina Kirsch: Ja, cool.
Tobias Mehre: Das Gleiche gilt natürlich im Bestfall dann auch eigentlich für die Manager, weil, wie wir ja festgestellt haben, sind die ja meistens auch Fachexperten gewesen.
Nina Kirsch: Korrekt.
Tobias Mehre: Sich vernetzen, zum Teil einzutauchen, auf Meetups zu gehen. Ich glaube, das ist der Schlüssel. Das kostet Zeit, das kostet Energie. Aber dann verstehe ich, was da abgeht. Und wenn ich jetzt Inhouse Recruiter bin, zum Beispiel wirklich für meine Unternehmung, dann setze ich mich doch einfach mal mit meiner Fachabteilung hin, erarbeite eine Strategie, wo es hingehen soll. Und ich glaube, wenn man das konsequent macht, dann wird auf jeden Fall vieles besser.
Nina Kirsch: Auf jeden Fall. Eigentlich ist es so einfach oder? Zielgruppe richtig gut kennenlernen, und das lohnt sich, und es macht einen Haufen Spaß.
Lieber Tobi, ich danke dir für deine Zeit. Richtig coole Einblicke, finde ich. Ich finde mich da in vielen Aspekten wieder. Gerade auch eben, dass ein Mensch verschiedene Facetten hat, die auch im beruflichen Alltag entdeckt und gefördert werden dürfen. Ich glaube, dass das ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist, speziell eben auch für Software-Entwickler und Software-Entwicklerinnen. Weil jeder von uns hat verschiedene Talente. Deswegen mache ich auch immer noch mein Usability Engineering, weil es einfach ein Teil von mir ist und der darf auch gesehen werden. Richtig cool. Vielen herzlichen Dank, Tobi.
Tobias Mehre: Ja, danke, dass ich ein bisschen mit dir über dieses spannende und gleichsam wichtige Thema sprechen durfte. Es hat mir richtig Spaß gemacht. Und wer weiß, vielleicht finden wir ja recht bald wieder einen Aufhänger, worüber wir uns unterhalten können.
Nina Kirsch: Ich glaube, wir finden noch das eine oder andere Thema, richtig cool. Ich danke dir. Gute Zeit dir.
Tobias Mehre: Wünsche ich dir auch, mach’s gut.
Nina Kirsch: Danke, ciao.
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