Fachkräftemangel? Ist er selbst gemacht?! - Interview mit Humanunternehmer Gunnar Barghorn
Wenn alle Unternehmen so agieren würden, wie die Barghorn GmbH es tut, dann wären wir, das kirschwerk, im Bereich Personalmarketing arbeitslos und würden uns einer anderen Vision zuwenden. Geschäftsführer Gunnar Barghorn ist ausschließlich für das Unternehmen und für die Mitarbeiter da. Er hat mit dem operativen Geschäft überhaupt nichts mehr zu tun. Wie funktioniert das? Das erfährst du in diesem Interview!
Ich spreche mit Humanunternehmer Gunnar Barghorn über das wichtige Thema Fachkräftemangel: Wie kann Fachkräftemangel und Mitarbeiterfindung umgekrempelt werden? Warum braucht es in einem Humanunternehmen keinen Chef mehr im klassischen Sinne? Und wieso lohnt es sich, Fehler richtig liebzugewinnen? All das erfährst du in dieser Podcastfolge.
Inhalte dieser Folge:
- Wie eine ganze Unternehmensstruktur umgekrempelt wurde
- Welche Alternative es zur klassischen Arbeitnehmerbewerbung gibt
- Wie Mitarbeiter selbstverantwortlich Entscheidungen treffen
- Warum und wie Fachkräftemangel verhindert werden kann
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Nina Kirsch: Hallo, Gunnar!
Gunnar Barghorn: Hallo, Nina!
Nina Kirsch: Herzlich willkommen im Podcast. Ja, wir sind uns ja vor einigen Monaten digital über den Weg gelaufen, und wir haben uns ausgetauscht, und es hat sofort gefunkt, könnte man sagen.
Gunnar Barghorn: Joa.
Nina Kirsch: Du bist ja vieles. Du bist Geschäftsführer der Barghorn GmbH Co. KG, aber du bist auch Autor und Speaker. Und das sind nur ein paar deiner Facetten.
Gunnar Barghorn: Jap.
Nina Kirsch: Und was mich so begeistert hat in unserem ersten Gespräch, ist, dass wir eine Vision teilen. Denn wenn alle Unternehmen so agieren würden, wie dein Unternehmen es tut, dann wären wir, das kirschwerk, im Bereich Personalmarketing arbeitslos und würden uns einer anderen Vision zuwenden.
Ja, normalerweise wäre jetzt der Teil dran, wo ich kurz skizziere, wie so dein Unternehmerweg bisher ausgesehen hat. Und jetzt machen wir da die Tür nicht ganz auf: Berichte doch mal bitte, wie würdest du deinen Weg beschreiben? Von: „Das macht man nicht, das geht doch nicht“ bis zu den Kehrtwenden, die du eingeschlagen hast. Speziell auch im Hinblick, wie dein Papa vielleicht das Unternehmen vorher geleitet hat.
Gunnar Barghorn: Ja, gerne, ich versuche das mal. Also ich bin 98 in das elterliche Unternehmen eingestiegen als gleichberechtigter Geschäftsführer zu meinem Vater. Das ist eine wichtige Ergänzung, denn viele Junioren steigen so ein bisschen als Underdog ein, und haben damit schon von vornherein die Chance vergeben, Position zu beziehen. Also das haben wir schon mal an der Stelle richtig gemacht. Ähm, was habe ich da 98 vorgefunden? Ein Unternehmen, was zu dem Zeitpunkt – oh, jetzt muss ich angestrengt rechnen – 58 Jahre alt war. Also wir sind 1941 gegründet worden von meinem Opa. Und mein Vater hatte also zwischen seinem Schwiegervater und ihm schon mal die Erfahrung eines Generationswechsels gemacht.
Nina Kirsch: Prinzipiell ja gut.
Gunnar Barghorn: Ja, das war ein Riesenvorteil, weil er sich gleich richtig positioniert hat, und mir ganz viel Raum gelassen hat, und Mitarbeitern gegenüber von der ersten Minute an klargemacht hat: „Das da, da ist der Chef!“ Also, wenn du etwas wissen willst, dann geh zum Chef. Und damit meinte er mich.
Nina Kirsch: Optimal.
Gunnar Barghorn: Das, glaube ich, kriegen verdammt wenige Senioren so hin. Dafür Chapeau! Große Hochachtung.
Nina Kirsch: Absolut.
Gunnar Barghorn: Als Unternehmen habe ich vorgefunden: Elf Handwerksgewerke unter einem Dach. Das heißt: der Stahlbau, der Maschinenbau, der Metallbau. Die drei sind heute noch da. Da hat sich offensichtlich massiv etwas verändert. Wo sind denn die anderen acht Kollegen? Also, ich geh mal rückwärts in der Reihenfolge, wie wir sie abgebaut haben: 2017 haben wir uns vom Leichtmetallbau (also Fenster, Türen, Fassaden aus Aluminium) getrennt. 2014 haben wir uns von Elektro- und Kältetechnik getrennt. 2007 haben wir uns von Heizung und Sanitär getrennt. Also immer schön im Paarlauf, damit die nicht so alleine in die Welt gehen. Das war 2007. Dann, ich glaube 2005, haben wir den Handel mit technischen Gasen aufgegeben. 2001 haben wir unseren Elektroladen mit Küchen- und Bad-Studio geschlossen. Und 98 – gleich meine erste Amtshandlung, damit konnte ich mich gar nicht genug beeilen – war das Schließen der Radio-Fernseher-Abteilung. Warum?
Nina Kirsch: Was?
Gunnar Barghorn: Ja, denn wenn man so ein bisschen Betriebswirtschaft kann und feststellt, der Umsatz dieser Abteilung ist gleich dem Ergebnis, nur leider mit Minus davor, dann weiß man: Weg mit dem Scheiß, aber ganz schnell! Das habe ich gemacht. Wie kam das eigentlich zu diesem Sammelsurium an Abteilungen? Das hatte mein Papa zu einem Großteil von seinem Schwiegervater, also meinem Opa, geerbt und hat dann noch den Stahlbau dazu getan. Also er hat es noch erweitert, und seine Vorstellung war immer, wir machen alles für alle. Das ist so die krasseste Nicht-Positionierung, die man sich vorstellen kann. Und wer sich ein bisschen mit Mewes und EKS auseinandergesetzt hat, der muss massiv Bauchweh kriegen. Also ich hatte zumindest richtig Bauchweh und hab dann gesagt: Das kann so nicht angehen. Habe also dann von der ersten Minute an gedacht: „Oh, oh, oh, hier hast du große Aufgaben, hier geht richtig was ab.“
Als Kind aus der Ferne, auch als Heranwachsender, auch als Student oder als ich in Bayern noch gearbeitet habe bei anderen Anlagebauern, da habe ich immer nach Brake ins elterliche Unternehmen geguckt und gedacht: „Boah, große, starke Firma. Wie geil das alles läuft.“ Und kaum komme ich in das elterliche Unternehmen, stelle ich fest: Egal welchen Deckel du aufmachst, das hat alles irgendwie so einen Fäkalgeruch… Schnell wieder zu machen! Also ganz furchtbar. Das war einfach über die Zeit gekommen, was relativ normal ist, wenn so eine Geschäftsführergeneration 30 Jahre dauert. Also Opa hat 30 Jahre gemacht, Papa hat 30 Jahre gemacht. Jetzt weißt du, wenn du rechnen kannst: Die Amtsübergabe war am 1. Oktober 2001, also ist für mich am 1. Oktober 2031 Feierabend.
Nina Kirsch: Tipptopp, wunderbar. Aber da sind wir ja zum Glück noch nicht.
Gunnar Barghorn: Da sind wir noch nicht, nein, nein. Aber das ist schon klar geplant. Also was habe ich 98 vorgefunden? So ein Sammelsurium von Abteilungen. Aber nicht nur das, auch eine erzkonservative Führungs-Philosophie. Alle Fäden liefen angeblich bei meinem Vater zusammen. Warum angeblich? Weil ich der festen Überzeugung bin, dass – deine, meine, unsere, alle, die bei den Zuhörern – Mitarbeitenden ganz selbstständig und intuitiv entscheiden, wie viel sie dem Chef davon zeigen, was die Firma jeden Tag erfolgreich macht.
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Also, wenn ein Geschäftsführer glaubt, er hat alle Fäden in der Hand, dann ist das vermutlich der größtmögliche Irrtum. Es sei denn, er hat keine Mitarbeiter. Dann könnte es hinkommen. Ist ja auch Quatsch. Aber mein Papa hat sich so wahnsinnig viel Zeit genommen, sporadisch Rechnungen aus dem Rechnungsordner zu kontrollieren, Eingangs- wie Ausgangsrechnungen. Ist dann wie so eine Furie durch die Firma und hat alle irregemacht, weil seiner Meinung nach irgendwas nicht richtig war oder nicht stimmte. Er hatte so ein Display bei sich am Arbeitsplatz, wo die Leute… also, wenn die kamen und gingen, dann hatten die so Stechkarten, und dann leuchtete bei ihm so ein Pendel mit roten Lämpchen auf, damit er sehen konnte, wer da war und wer nicht da war.
Nina Kirsch: Wow, also Kontrolle pur.
Gunnar Barghorn: Ja, wer zu früh Feierabend machte, der konnte sich auf einen Dialog gefasst machen. Ja, also schon sehr…diktatorisch will ich nicht sagen, aber mein Vater selber hat immer formuliert: Wir leben in einer Demokratur, und meine Stimme hat 51 Prozent.
Nina Kirsch: Okay, passt ja perfekt zum Thema “New Work”.
Gunnar Barghorn: Absolut. Also bei Papa, da durfte jeder seine Meinung haben. Gar kein Problem.
Nina Kirsch: Ja, aber…?
Gunnar Barghorn: Nee, seine Meinung haben. Nicht die eigene.
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Ich erinnere noch so eine Situation, da war ich relativ frisch hier. Da bin ich die Treppe runter, weil es war ein sonniger Nachmittag. Es war, glaube ich, 13 oder 14 Uhr. Ich hatte keinen Bock mehr zu arbeiten und bin dann so an der Zentrale vorbei und hab so ganz nonchalant gesagt: „So, Kinners, ich gehe jetzt ein Eis essen. Tschüss, bis morgen.“ Ich saß noch gar nicht im Auto, da ging mein Telefon. Hatte ich den Alten dran: „Bist du wahnsinnig? Das kannst du den Leuten doch nicht sagen! Erzähl denen doch was, dass du auf die Baustelle fährst oder sonst was.“ Ich sag: „Nee, Papa, mach ich garantiert nicht.“ Garantiert nicht, weil wenn ich anfange meine Mannschaft zu belügen, dann muss ich mich nicht wundern, wenn die mich auch belügen.
Nina Kirsch: Korrekt!
Gunnar Barghorn: Die haben Aufrichtigkeit verdient, und wenn ich Bock habe, ein Eis essen zu gehen, gehe ich ein Eis essen, und dann will ich das wissen. Ich sag, ich möchte auch von unseren Monteuren wissen, wenn die eine Baustelle früher beenden und kein Bock haben und Eis essen gehen. Das sollen die mir freiwillig sagen. So eine Stimmung will ich in der Bude. Ich will das nicht kontrollieren müssen.
Nina Kirsch: Aber da sind ja dann zwei Welten aufeinandergeprallt, oder?
Gunnar Barghorn: Ja, das war für Papa nicht zu verdauen. Das war schwierig.
Nina Kirsch: Das kann ich verstehen, ehrlich gesagt.
Gunnar Barghorn: Ja, also viele, viele Jahre später… Er lebt Gott sei Dank noch, und wir haben viele Höhen und Tiefen durch. Mittlerweile haben wir aber wieder ein gutes Verhältnis miteinander, nachdem wir echte Schwierigkeiten hatten. Und er kann jetzt, wo er merkt, welche Früchte dieser andere Führungsstil trägt, sehr gut honorieren, dass das auch ein Weg ist. Nicht seiner, aber auch ein Weg.
Nina Kirsch: Ja, absolut.
Gunnar Barghorn: Und ja, ein kleines Beispiel noch, nur damit man weiß, wie ich ticke: Papa hat immer vor dem Urlaub allen Führungskräften so ein DIN-A4 Zettel gegeben. Da stand die Urlaubsadresse drauf, Hotel, Telefon, Fax, was nicht alles. Da fehlte eigentlich nur so eine große Überschrift „Ruf mich an!“ Ich kann mich als Kind auch nicht erinnern, dass mein Papa nicht irgendeinen Urlaub nicht vorzeitig abgebrochen hätte. Also selbst die Hochzeitsreise hat er vorher abgebrochen.
Nina Kirsch: Oha! Okay…
Gunnar Barghorn: Ja, genau, weil er ja so wichtig ist und unbedingt wieder in die Firma muss. So, und dann stand da als frisch gebackener Junior mein erster Urlaub an. Und ich hatte es gar nicht für nötig gehalten, irgendwem davon zu erzählen. Und einen Tag vorher habe ich gedacht: „Ach, Gott. Du kannst denen das ja mal sagen. Nicht, dass sie sich wundern, wenn du morgen oder Montag nicht da bist, damit sie wissen, dass nix passiert.“ Da sitze ich so freitagmorgens in der Frühstücksrunde: „Ach übrigens, ab Montag bin ich zwei Wochen im Urlaub.“ Totenstille. Gucken die mich an, so richtig Schockschwerenot. Und dann: „Ja, aber wie? Wie erreichen wir dich denn?“. Ich sag: „Nee, nicht ernsthaft, oder?“. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: „Ihr wollt mir doch nicht durch einen Anruf das Ausmaß eurer Inkompetenz unter Beweis stellen?“ – „Nö, nö, nö, alles gut.“ Ich sage: „Damit ihr das wisst. Es gibt nur einen einzigen Grund, mich im Urlaub anzurufen. Und das ist: Wir suchen das und das. Das muss in deinem Büro sein, wir finden es nicht. Wo liegt es?“. Ja und wenn die Firma brennt? Ich sag: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich, weil die Firma brennt, auf Gran Canaria mir einen vorzeitigen Flieger suche, da reinsteige, hierherfliege und anschließend noch in die Asche puste?!“ Weil dann ist der Vogel abgebrannt. Was soll ich hier? Ihr könnt alle Probleme ohne mich lösen. Ihr braucht mich nicht.
Nina Kirsch: Eben, das ist ja der springende Punkt, oder? Und dazu ermutigst du deine Mitarbeitenden.
Gunnar Barghorn: Genau, dafür muss man aber auch den Raum lassen. Und zwar nicht… Wie soll ich das sagen? So gutwillig. „Ich lass dir den Raum und ich gucke dann gönnerhaft darauf.“ Sondern ernsthaft den Raum lassen und ernsthaft den Raum lassen heißt, auch fast den Raum zu verlassen. Und das ist etwas, was viele nicht können und diesen Unterschied zwischen Loslassen und Alleinlassen kriegen auch viele nicht hin. Ich kenne Geschäftsführer-Kollegen, die haben ihren Laden ganz gut autark organisiert und brüsten sich damit, dass sie die meiste Zeit am Tag auf dem Golfplatz stehen. Das ist aber Alleinlassen. Seit ich losgelassen habe, habe ich noch nie so viel Präsenz in der Firma gehabt wie jetzt.
Nina Kirsch: Ja, du kümmerst dich um das Unternehmen, oder?
Gunnar Barghorn: Ausschließlich, genau. Ich bin ausschließlich für das Unternehmen und für die Mitarbeiter da. Aber ich habe mit dem operativen Geschäft überhaupt nichts zu tun. Bedeutet: Ich sehe nicht ein einziges Angebot. Ich unterschreibe auch kein einziges. Egal, was da für eine Angebotssumme steht, auch wenn da zweieinhalb Millionen drunter steht. Mein Wilhelm ist da nicht drunter. Es sei denn, der Abteilungsleiter hat das Gefühl, der Kunde erwartet das. Dann machen wir das. Ich fahre nicht zu einer einzigen Auftragsverhandlung. Es sei denn, der Abteilungsleiter meint, der Kunde erwartet das. Dann sitze ich artig mit im Auto zum Kunden. Das ist aber sehr, sehr selten und auf dem Weg zum Kunden kriege ich ordentlich einen eingeschenkt, worüber ich alles die Klappe zu halten habe, was ich nicht sagen darf, und dass ich bitteschön nur der Frühstücksdirektor bin. Die Rolle kann ich.
Nina Kirsch: Das heißt…
Gunnar Barghorn: Ich unterschreibe hier nicht mal… Ich unterschreibe hier hin und wieder mal eine Überweisung, aber lange nicht alle. Also dafür braucht es mich alles nicht. Ich kann morgen für 6 Monate mit dem Rad um Australien fahren, wenn ich es denn wollte, wenn ich es attraktiv fände. Ist mir aber zu anstrengend mit dem Rad.
Nina Kirsch: Ja, okay.
Gunnar Barghorn: Faul bin ich nämlich auch noch. Und hier würde sich nichts ändern. Der Laden würde genauso weiterlaufen. Wenn ich im Urlaub bin, wenn ich nicht da bin, wenn ich mit anderen im Gespräch bin, fällt denen immer auf, mein Telefon klingelt nicht. Nee, warum denn? Hat ja keiner Bock, seine Inkompetenz unter Beweis zu stellen.
Nina Kirsch: Finde ich einen wirklich spannenden Spruch. Das bedeutet ja im Rückkehrschluss, dass alle Mitarbeitenden in ihrer Position zum einen natürlich den Auftrag haben: Hey, schau, wie du das selber gelöst bekommst, und entscheide nach bestem Wissen und Gewissen im Namen der Firma. Und zum anderen du aber auch den Raum gibst, dass es bis zur letzten Konsequenz dann auch gelebt wird.
Gunnar Barghorn: Da gehört eine ganze Menge dazu, um das richtig einzustellen. Gehen wir noch mal an den Anfang zurück, weil die hatten ja eine krass andere Mentalität hinein geschult bekommen. Ich will nicht sagen eingeprügelt bekommen, aber so ähnlich. So, und dann kannst du nicht einfach sagen: „Entscheid doch selbst, mach mal.“
Nina Kirsch: Genau!
Gunnar Barghorn: Die kriegen ja Ängste, weil die vorher, wann immer sie was nicht ganz richtig gemacht haben, eins ins Geweih gekriegt haben. Selbst wenn sie was richtig gemacht hatten, aber der Chef meinte, sie hätten es nicht richtig gemacht, kriegten sie trotzdem eins ins Geweih. Und die mussten nicht glauben, dass sie Zeit hatten für Widerspruch oder Erklärung. Nee, es gab erst mal einen auf die Zwölf.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Wenn du so eine Mannschaft hast, der kannst du ja nicht sagen: „Mach mal, wie du denkst. Wird schon.“
Nina Kirsch: Eben, genau.
Gunnar Barghorn: Die kriegen ja Höllenangst. Also was habe ich gemacht? Ich habe zwei Dinge gemacht: Das eine ist, ich habe aufgehört zu antworten. Das ist das Erste, was passiert. Die Mitarbeiter kommen in dein Büro und stellen dir Fragen. Probleme haben übrigens für mich immer zwei Beine, und auf diesen zwei Beinen kommt das Problem immer ins Büro. Da steht das Problemchen dann und weiß nicht weiter. Genau genommen… Ich kann das an einem Abteilungsleiter so schön erzählen. Der ist mir bis heute vor Augen, wie er da steht, in meinem Büro und sagt: „Hey Chef, ich habe ein Problem.“ Ich sag: „Das‘ ja toll, dann geh raus und lös‘ das.“ Ist er total schockiert, weil ich nicht mal Bock hatte, mir sein Problem anzuhören. Ich sage: „Na, Alter, lös‘ das. Dafür bist du da, dafür wirst du bezahlt.“ – „Ah okay.“ Ich sag: „Du wirst für Lösungen bezahlt.“ Okay, okay, sagt er. Ja. Dann trollte er sich wieder. Dann kam er nach einer Weile wieder, weil er offensichtlich dachte, mit Lösung kann ich dem Alten vielleicht kommen. Also kam er dann ins Büro und sagt: „Chef, ich hab ein Problem, und ich habe eine Lösung!“ Ich sag: „Schön. Hast du eine oder zwei Lösungen?“ Er: „Äh, eine.“ Ich sag: „Ja, was willst du hier? Geh, setz‘ sie um! Raub nicht meine und deine Zeit und lullere mich nicht voll. Was soll das?“ Da war er also wirklich total irritiert.
Nina Kirsch: Ja, komisch!
Gunnar Barghorn: Genau. Und dann sagt er: „Aber wann soll ich denn zu dir kommen, als mein Chef?“ Ich sag: „Du, das ist ganz einfach. Wenn du ein Problem und zwei Lösungen hast und dich nicht entscheiden kannst, dann bist du hier richtig.“ „Ah, okay, okay, okay, habe ich verstanden. Alles klar.“ Jetzt leuchtet er so ein bisschen. Das dauerte so drei, vier Wochen – ich weiß jetzt nicht mehr genau – stand er wieder breit grinsend in meinem Büro. Der hatte so das Gefühl, jetzt habe ich den Alten: „Hey Gunnar!“ … Nee, damals waren wir noch per Sie. Aber: „Ich habe ein Problem und zwei Lösungen. Und ich kann mich nicht entscheiden.“ Ich sag: „Wunderbar. Hinsetzen, wir haben ein Gespräch. Wie ist das Problem?“ So und so. Okay, wie ist denn Lösung A? So und so. Lösung B? So und so. „Hmmm ja, das ist natürlich nicht trivial. Du bist aber ja Fachmann in der Situation. Wenn du mir das jetzt alles so erzählt hast, was würdest du mir empfehlen?“ Er: „Ja, jetzt, wo ich das so gesagt habe, würde ich sagen Lösung A.“ Ich sag: „Raus…“.
Nina Kirsch: Umsetzen.
Gunnar Barghorn: Genau. Und damit hat er es gelernt. Damit hat er begriffen: Er braucht mich nicht. Er braucht mich für diese Dinge nicht. Er kann diesen Dialog klären, ohne dass es den Chef braucht. Was hat er sich vorher abgeholt? Er hat sich bei meinem Vater vorher keine Lösungen abgeholt.
Nina Kirsch: Eine Erlaubnis, oder?
Gunnar Barghorn: Der kam, der hat sich eine Erlaubnis abgeholt und Verantwortung dagelassen.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: So. Und das ist diese Grundregel, mit dem Nicht-Antworten, wenn du dir das Wort Verantwortung mal anguckst. Wenn du „Ver“ vorne weglässt und „ung“ hinten weglässt, dann steht da „Antwort“. So, wer antwortet, übernimmt Verantwortung. Wenn du also willst, dass deine Mitarbeiter Verantwortung übernehmen, dann hör verdammt noch mal auf, zu antworten.
Nina Kirsch: Ja, nach diesem Prinzip hast du ja jetzt das Unternehmen, so würde ich sagen, Schritt für Schritt “umgekrempelt”, oder?
Gunnar Barghorn: Genau. Das habe ich in der ersten Betriebsversammlung auch angedroht. Indem ich gesagt habe, ich will ein Human-Unternehmen schaffen. Da kriegten die natürlich irgendwie das große Fracksausen, die eine Hälfte dachte: „Scheiße, hier wirds nichts mit der Rente. Lass uns bloß eine neue Firma suchen.“ Die andere Hälfte hat da gestanden und gesagt: „Ich versteh nicht, wovon er redet…“
Nina Kirsch: Aber ich bleibe.
Gunnar Barghorn: Zu der zweiten Hälfte habe ich auch gehört. Ich wusste nämlich nicht, was ich eigentlich damit ausdrücken will. Ich hatte nur dieses Wort im Kopf “Human-Unternehmen”, was irgendwie menschenorientierte Unternehmensführung bedeutet. Ich habe mich schon immer dafür interessiert: Wie kann man eine Organisation auf Autopilot schalten? So, dass sie sich selbst reinigt und ständig weiterentwickelt, ohne dass es meinen Antrieb oder mein Zutun braucht? Und dafür habe ich eine ganze Menge gemacht. Das hat sehr viel mit Erlaubnis zu tun oder eben Nicht-Erlaubnis aus der Gutsherrenperspektive: „So Kinderchen, ihr dürft hier ein Stündchen am Wasser spielen“. Nee. Sondern die Erlaubnis geht eben so weit, dass sie selber entscheiden, wo sie spielen, was sie spielen, wie sie spielen, ob sie überhaupt spielen. Also das ist eine ganz andere Form der Freiheit.
Nina Kirsch: Genau. Und das Spannende ist ja, finde ich… Ich bekomme das immer wieder in Gesprächen mit Handwerksbetrieben oder auch mit Betrieben in der Industrie mit, die dann sagen: „Ja, aber das kann man so nicht machen. Weil unsere Branche lässt es nicht zu, weil unser Standort lässt es nicht zu…”. Weil, weil, weil, weil, weil – ganz viele Erklärungen da. Aber ich habe so das Gefühl, das trifft nicht unbedingt zu, oder?
Gunnar Barghorn: Nein, gar nicht. Aber überlegt mal, wir sind Metallhandwerk. Das ist schon von sich aus – von der Branche – sehr konservativ. Dann sind wir dritte Generation. Das Unternehmen ist letztes Jahr 80 Jahre alt geworden. Ich glaube, von der Unternehmensdauer her stehen wir auch im Verdacht, eher sehr konservativ zu sein. Tradiert, würde man sagen. Und das dritte ist, wir kommen aus der Wesermarsch.
Nina Kirsch: Wo ist denn das?
Gunnar Barghorn: Ja, genau. Nimm mal die letzten fünf Buchstaben von Wesermarsch und guck mal, an welcher Stelle du dann in der Welt bist. Das ist eigentlich der entscheidende Punkt: Also wir haben hier mehr Kühe als Einwohner. Das heißt, provinzieller geht es kaum. Wir haben alle Grundvoraussetzungen, um zu sagen: „Also hier geht es nicht. Das kannst du vielleicht in so einem Google Start-up im Silicon Valley machen, aber nicht hier.“ Doch! Das geht hier auch. Und deswegen kann mir auch keiner sagen: „Aber in meiner Firma geht’s nicht“.
Nina Kirsch: Ja!
Gunnar Barghorn: Das einzige, was ich als Aussage zulasse, ist, mit dir als Chef geht’s nicht.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Denn…
Nina Kirsch: Ja, gut, das kann sein.
Gunnar Barghorn: Auf diesem Weg muss man unfassbar was aushalten können als Chef. Das ist die zweite Komponente. Es geht nicht darum… nicht nur darum, nicht mehr zu antworten und die Leute in die Verantwortung zu bringen, sondern es geht auch darum, ihnen eben Sicherheit zu geben. Und Sicherheit gibt man über die Art und Weise, wie man mit Fehlern umgeht. Das heißt, du musst auch eine ganz andere Fehlerkultur haben. Hier werden Fehler grundsätzlich nie bestraft. Nie. Es gibt keine negativen Konsequenzen für einen Fehler. Gibt’s hier nicht.
Nina Kirsch: Sondern?
Gunnar Barghorn: Das ist eine Frage, wie ich auf Fehler gucke. Gucke ich von der Kostenseite auf einen Fehler, das heißt: „Oh Scheiße, das hat jetzt Geld gekostet. Schlimm, scheiße, böse, du musst weg. Du Mistkerl“. Das ist die eine Art, wie man auf einen Fehler gucken kann. Oder man guckt von der Chancen-Seite auf den Fehler. Ein Fehler bietet zwei grundsätzlich riesige Chancen. Die erste ist: Wir lernen. Ohne Fehler lernst du übrigens nicht. Ich stelle auch immer sehr gerne – gerade bei so großen Industrieunternehmen, die sich ihrer Null-Fehler-Struktur so rühmen – die Frage: Was lernt so ein Laden eigentlich noch?
Nina Kirsch: Ja…
Gunnar Barghorn: Wer keine Fehler macht, lernt nix.
Nina Kirsch: So ist es.
Gunnar Barghorn: Dann weiß ich gar nicht, ob null Fehler so geil ist. Hm, müssen wir mal darüber nachdenken. So, und das zweite ist: Wenn ein Fehler auf der Nahtstelle zum Kunden erfolgt ist, hast du eine einmalige Chance, zur Höchstform aufzulaufen und ihm zu zeigen, was dein Laden wirklich drauf hat, in der Art und Weise, wie du diesen Fehler annimmst, dazu stehst und ihn schnellstmöglich bereinigt. Solange wir normal leisten, sind wir im Erwartungshorizont unserer Kunden. „Joa, alles ganz nett. Es läuft, ist schön.“ Und kommt mehr Begeisterung? Nee. Ist dir aber Scheiße passiert und du scharrst sofort mit der Hufe, und im Rekordtempo wird die Scheiße bereinigt: Ja, in der Sekunde hast du den Kunden für dich gewonnen. Er musste mit dir nicht darüber diskutieren, wer verantwortlich ist, wer zahlt, wie das Problem gelöst wird… Gar nichts, sondern ratzfatz! Das sind die beiden Riesenchancen, die in einem Fehler drinstecken. Also habe ich Fehler total lieb.
Nina Kirsch: Ich habe Fehler auch lieb. Ich war ja lange Basketball-Coach und selbst die Jugend hat schon Angst davor, Fehler zu machen. Ich sage nur: „Hey, mach die Fehler, da hast du überhaupt eine Chance zu lernen und über dich hinauszuwachsen.“ Lass uns aber mal kurz zurückgehen. Also: Branche total blöd, der Ort total blöd, und dann müsste doch so ein Unternehmen, wie deines sagen: „Fachkräftemangel! Bei uns geht nix“. Ich habe da natürlich auch ein bisschen recherchiert und ein bisschen nachgeschaut, weil du hast ja auch ein Buch geschrieben zu dem Thema, was du vorhin genannt hast: „Der Humanunternehmer“ nennt sich das.
Gunnar Barghorn: Jap.
Nina Kirsch: Was wir natürlich in den Shownotes verlinken für dich, liebe Hörerin und lieber Hörer. Da setzt du dich nämlich sehr kritisch mit diesem Begriff auseinander. Fachkräftemangel. Warum?
Gunnar Barghorn: Ja, weil… Wie soll ich das sagen? Meiner Ansicht nach gibt es gar nicht unbedingt einen Fachkräftemangel. Die sind ja da. Die sind nur woanders, weil der eigene Laden eben scheiße-unattraktiv ist.
Nina Kirsch: Schön auf den Punkt gebracht.
Gunnar Barghorn: Ja, natürlich. Wir kommen in einen demografischen Wandel und wir kippen in diesem Bevölkerungs-Döner jetzt um. Dass immer mehr Leute als Konsumenten auch in den Ruhestand gehen, aber an Produktiv-Prozessen nicht mehr teilhaben. Ja, klar, reduziert das die Möglichkeiten. Dann machen wir in Sachen Bildung und Erziehung so viel falsch, dass wir da noch mehr reduzieren. Ja klar. Also faktisch ist das schon da. Aber wenn du mal guckst, was hat sich eigentlich in den 50er/60er Jahren auf der Produktionsseite, auf der Produktseite verändert?
Anfangs hatten wir – noch so in der direkten Nachkriegszeit oder auch davor – weniger Produktionsmöglichkeiten und mehr Nachfrage. Bedeutet, dass die Marktmacht beim Produzenten lag. In den Wirtschaftswachstum-Zeiten und in der Nachkriegs-Phase sind die Produktionsmöglichkeiten gestiegen, und zwar deutlich schneller als die Nachfrage steigen konnte. Und damit hatten wir plötzlich ein Verschieben der Marktmacht hin zum Konsumenten, also einen Konsumentenmarkt. Und das Gleiche passiert uns gerade im Arbeitsmarkt. Wobei: Auf der Produktseite sind wir ja noch über den Informationsmarkt bis hin zum Bewertungsmarkt etliche Schritte weiter, und diese ganze gleiche Schleife durchlaufen wir im Arbeitsmarkt genau so, nur eben viel schneller, weil wir wissen ja schon wie es geht.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Das heißt, die Marktmacht, die wechselt gerade vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer.
Nina Kirsch: Genau, Paradigmenwechsel.
Gunnar Barghorn: Genau, und damit kommen die Arbeitgeber nicht klar, weil sie plötzlich Menschen nicht mehr wie Scheiße behandeln können. Weil sie sich darüber Gedanken machen müssen, wie attraktiv ist eigentlich mein Produkt “Arbeitsplatz”? Und wie sieht eigentlich die Customer- oder genauer genommen Employer-Journey aus? Also wie erlebt der vom ersten Kennenlernen über den gesamten Prozess eigentlich unser Unternehmen? Darüber müssen die Arbeitgeber anfangen, sich Gedanken zu machen und brauchen dann Hilfe, weil sie es oft nicht können. Weil sie auf der Employer-Seite plötzlich das ganze Marketing-Instrumentarium, was sie auf der Produktseite alles mühsam gelernt haben, vergessen haben. Und dann brauchen sie so etwas wie das kirschwerk. Damit ihnen jemand Beine macht.
Nina Kirsch: Ja, genau. Einfach dieses Umdenken zu unterstützen, denn es ist tatsächlich so. Die Erfahrung machen wir ganz oft. Irgendwie leuchtet es schon ein. Aber wie konkret setze ich denn das jetzt um? Da hapert es dann einfach oft. Diese Fragen stellen sich und ich meine, zum Glück sind schon immer mehr Unternehmen dabei, das zu begreifen und da auch was zu tun. Zum Glück für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.
Gunnar Barghorn: Ja, aber sie setzen sich zu wenig damit auseinander, wie denn diese Dienstleistungserfahrung im Kennenlernen des Unternehmens und allem stattfindet. Also fangen wir bei dem Aspekt der Sichtbarkeit an. Ganz wichtig. Das begreifen manche nicht. Dabei ist das so… Das ist noch einfacher als das kleine Einmaleins. Wer dich nicht kennt, kann nicht für dich arbeiten. Das geht nicht.
Nina Kirsch: Das ist korrekt. Sehe ich auch so.
Gunnar Barghorn: Da kannst du dich auf den Kopf stellen und wieder auf die Füße. Es geht nicht! Also musst du doch über Sichtbarkeit erst mal dafür sorgen, dass dich möglichst viele potenzielle Arbeitnehmer überhaupt kennen.
Nina Kirsch: Korrekt.
Gunnar Barghorn: Das machst du mit sozialen Medien. Das machst du, in dem du eben vernünftig dort sichtbar bist. Das machst du über Presseartikel, über alle möglichen Formen, wie du Licht auf deine Firma wirfst. Und als guter Unternehmer bist du gefälligst der Leuchtturm. Du bist der, der die große Taschenlampe hält und auf deine Firma leuchtet.
Nina Kirsch: Wo seid ihr zum Beispiel sichtbar?
Gunnar Barghorn: Facebook, Instagram, LinkedIn, Xing und auch ansonsten – ich sage mal so – medial. Also alles, was so addierte Medien sind. Wir hatten jetzt vor kurzem so einen kleinen Beitrag im ARD-Morgenmagazin und die Tagesschau hat es auch nochmal aufgegriffen. Nochmal: 100-Mann-Bude, Provinz am Arsch der Welt und so ein unheimlich spannendes Thema wie Metallhandwerk. Also es geht. Es geht!
Nina Kirsch: Absolut!
Gunnar Barghorn: Man muss sich nur Gedanken machen: Wie komme ich da hin? Und es ist eben kein Sprint. Das ist ein Langstreckenlauf. Und weil ich kein Bock habe, diese ganze Arbeit als Chef alleine zu machen… Irgendwann, ich glaube am Anfang, habe ich mal gesagt, dass ich faul bin. Oder habe ich das noch nicht gesagt? Dann habe ich es jetzt gesagt. Ich bin stinke-faul. Deswegen denke ich immer darüber nach, wie ich mir und anderen das Leben leichter machen kann. Das zahlt auf meine Faulheit ein. Und ein Aspekt war: Ich möchte gerne eine möglichst authentische Form der Sichtbarkeit und habe selber keinen Bock, mich zu kümmern. Also bin ich in die Falle gelaufen und habe Gesellen gefragt: „Mensch, unser Facebook-Kanal. Würdest du da posten? So als Handy-Scout?“. So ist der interne Begriff bei uns, so nennen wir den. Das ist so eine Art innerbetriebliches Ehrenamt. Die kriegen keine Kohle dafür, die machen das, weil sie Bock darauf haben.
Nina Kirsch: Ja, und weil sie das Unternehmen toll finden. Und damit geht es ja auch um den Social Proof. Weil Unternehmen können natürlich in Stellenanzeigen, in Karriere-Websites oder in Bewerbungen an Arbeitnehmer alles Mögliche behaupten. Irgendwo brauche ich ja auch den Proof.
Gunnar Barghorn: Genau. Und das kommt so ganz authentisch da über Facebook durch unsere Gesellen. Das sind, glaube ich, so sechs oder sieben Handy-Scouts, die wir aktuell haben, und die posten einfach regelmäßig so aus ihrer normalen täglichen Arbeit. Zwischendurch funkt der Chef da auch mal zwischendurch und postet auch mal etwas, was er wichtig findet, aber ich spiele eine untergeordnete Rolle. Ich darf auch mitspielen, nennen wir es mal so.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Und dann sind wir auf Instagram, weil dies das etwas jüngere Medium ist, wobei sich das sehr mischt… Man muss auch immer gucken, wann ist ein Medienwechsel mal nötig? Und was passiert da am Markt? Also einfach zu glauben, wir machen jetzt Facebook und Instagram und das die nächsten 30 Jahre – das ist, glaube ich, nicht unbedingt schlau.
Nina Kirsch: Nein.
Gunnar Barghorn: Also man muss auf der Höhe der Zeit sein. Und den Instagram-Kanal, den befeuern unsere Azubis. Da haben wir auch so 5, 6 Handy-Scouts, die auch sagen: „Da hab ich Bock drauf, Chef. Mache ich wohl“. Und die posten eben auch dort regelmäßig. Wobei – das muss ich dazu sagen – unsere Azubis, die sind ja noch nicht so lange da. Das heißt, die haben durchaus auch so ein kleines Problem mit: „Ich trau mich mal!“… Also muss man die schon ein bisschen betreuen und deutlich machen: „Mach ruhig! Hau raus!“ Und dann war natürlich für die Handy-Scouts die Frage: „Ja, wie machen wir das denn jetzt? Also wer kontrolliert denn, ob wir das posten dürfen?“ Ich sag: „Niemand kontrolliert das. Ihr seid hier alle Manns genug, ihr wisst, was ihr zu tun habt. Und ihr wisst, bei welchen Kunden wir gefälligst keine Bilder machen. Und wenn ihr von Kollegen und sonst was ein Bild macht oder anderen Leuten, dann fragt ihr jeden, der auf dem Bild zu sehen und zu erkennen ist, ob du das posten darfst.“
Nina Kirsch: Also auch wieder in die Eigenverantwortung.
Gunnar Barghorn: Genau. Und dann kam die Frage: „Sollen wir dann Zettel dafür ausfüllen? Sollen die das unterschreiben?“ Ich sag: „Hallo, wir sind nicht bei der Behörde.“ Es reicht, dass du den fragst. Und wenn er genickt hat, ist doch gut. Reicht.
Nina Kirsch: Okay, das heißt, du gehst in die Sichtbarkeit. Und jetzt nehmen wir mal an, jemand hat Interesse für dich zu arbeiten. Habt ihr überhaupt Stellenanzeigen?
Gunnar Barghorn: Also bei uns auf der Webseite sind zwei Dauerstellen ausgeschrieben, und manchmal, wenn es auch andere Stellen gibt, setzen wir die da auch hin. Aber eine Stellenanzeige ist das im Grunde genommen nicht. Das ist mehr so eine Informationsmöglichkeit. Wir suchen ständig, wirklich ständig Konstruktionsmechaniker, Fachrichtung Produktionstechnik. Und wir suchen ständig Feinwerkmechaniker, Fachrichtung allgemeiner Maschinenbau. Die haben wir da ständig drin.
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Ähm, jetzt wird es ein bisschen ulkig, aber ich stelle jeden ein, der besser ist als die blödesten drei.
Nina Kirsch: Was?
Gunnar Barghorn: Was das für die blöden Dreien heißt, führe ich mal nicht aus.
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Aber wir wollen ja ständig das Unternehmen besser machen.
Nina Kirsch: Ja, ja, gut, leuchtet total ein.
Gunnar Barghorn: Das heißt ja… Also Humanunternehmen heißt nicht, wir leben hier auf einer Wolke sieben und bewerfen uns mit Manna. Nee, nee, also hier fallen auch durchaus knackige Entscheidungen. Aber auch so ein Trennungsprozess zum Beispiel, wo wir das gerade am Wickel haben, kann man sehr wertschätzend, sehr offen, sehr transparent und fast freundschaftlich machen.
Nina Kirsch: Ja, wir sind ja noch nicht mal verheiratet. Also bevor wir uns dem Trennungsprozess zuwenden, lass uns doch erst mal heiraten.
Gunnar Barghorn: Ja, machen wir.
Nina Kirsch: Wie läuft das erste Date denn ab?
Gunnar Barghorn: Also über die Sichtbarkeit werden die, mehr oder weniger stark, auf unsere Webseite gelenkt. Und wenn sie dort gelandet sind, können sich über die Stellen informieren. Und dann plötzlich finden sie so einen Knopf, der heißt: „Jetzt Bewerbung anfordern“. Wie, anfordern? Zuschicken wäre doch richtig, oder? Nee, nee, wir haben ja wie gesagt Fachkräftemangel, Veränderung der Marktmacht: Wir sind nicht mehr die Marktmacht, sondern die Marktmacht liegt bei den Arbeitnehmern. Und damit sind ganz automatisch wir der Bewerber.
Nina Kirsch: Konsequent betrachtet, würde ich sagen.
Gunnar Barghorn: Das muss man mal konsequent zu Ende denken, was das eigentlich heißt. Das heißt doch, ich schicke eine Bewerbung raus. Das können die machen: Die gehen auf die Website, müssen eigentlich nur Name und Mailadresse dalassen und dann kriegen die eine personalisierte Bewerbungsmappe von uns digital zugeschickt. Ganz simpel.
Nina Kirsch: Okay, noch mal zusammengefasst. Ich möchte bei euch arbeiten. Ich gehe auf die Website, und ich lasse mir eine Bewerbung von euch an mich zuschicken?
Gunnar Barghorn: Genau, genau.
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Der Prozess ist vollautomatisiert und digitalisiert, und dann kriegst du halt ein Bewerbungsmäppchen.
Nina Kirsch: Von dem Unternehmen an mich?
Gunnar Barghorn: Genau. So richtig wie man es kennt, wie eine Bewerbung so aussieht. Das heißt, mit einem Anschreiben und Lebenslauf. Da kann man dann sehen, dass wir 1941 gegründet wurden, sprich geboren sind. Dann geht das die Jahre hoch und dann kann man… z.B. für 2022 steht dann da: „Erweiterung unseres Teams durch…“ und dann steht da Nina.
Nina Kirsch: Cool!
Gunnar Barghorn: So sieht der Lebenslauf aus. Und dann gibt’s ein Zeugnis… Das alles nicht so bierernst gemeint, es hat so ein bisschen Humor. Und dann habe ich festgestellt: „Scheiße, wenn ich Bewerbungen von Menschen bekomme, dann sind da auch immer Arbeitgeberzeugnisse drin.“
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Dann müsste ich ja Arbeitnehmerzeugnisse in meine Bewerbung tun.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Also bin ich in die Halle gewetzt und zu Leuten gegangen und hab gesagt: „Sag mal, schreibst du mir ein Zeugnis?“ Fragt er: „Was willst du?“ – „Ja, schreibst du mir ein Zeugnis, wie wir so als Arbeitgeber sind?“ – „Da musst du mir helfen. Das verstehe ich nicht.“ Dann habe ich einen Leitfaden gemacht, was in so einem klassischen Arbeitnehmerzeugnis oder Arbeitgeberzeugnis drinsteht.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Und dann haben die angefangen, mir Dinge zu schreiben. Und das waren ja erst so Zwischenzeugnisse, weil die waren ja noch da. Und seitdem bitten wir jeden, der das Unternehmen verlässt, uns ein Abschlusszeugnis zu schreiben.
Nina Kirsch: Es ist einfach konsequent zu Ende gedacht. Auf jeden Fall.
Gunnar Barghorn: Ja, genau. Und das sind so geile Sachen, die da drinstehen. Und das mischen wir dann immer mal wieder in diese umgedrehte Bewerbung rein, damit sie eben auch peppig bleibt. Also wenn einer sich nach einem Jahr nochmal bewirbt, damit er nicht denselben Scheiß liest.
Nina Kirsch: Okay, und jetzt habe ich deine Bewerbungsmappe erhalten. Bin ordentlich irritiert, aber ich lass mich mal auf das Spielchen ein. Was passiert dann?
Gunnar Barghorn: Na, in der E-Mail zu der Bewerbung steht drin, wenn du das geil findest, was du gelesen hast, dann ruf mich an. Und dann steht da eben meine Telefonnummer.
Nina Kirsch: Wortwörtlich.
Gunnar Barghorn: Nee, also wortwörtlich, glaube ich nicht… Also ich glaube, in der Bewerbung haben wir schon ein bisschen besseres Benehmen. Aber so ungefähr.
Nina Kirsch: Okay, okay, gut. Und dann?
Gunnar Barghorn: Dann rufen die an oder nicht. Also ungefähr die Hälfte derer, die sich die Bewerbung heruntergeladen hat, ruft mich auch an!
Nina Kirsch: Krass.
Gunnar Barghorn: Und die andere Hälfte, was ist mit denen dann?
Nina Kirsch: Eine gute Frage.
Gunnar Barghorn: Ja, die sind nichts für uns. Das ist natürlich ein Glaubenssatz, aber ich führe den mal aus, den Glaubenssatz.
Nina Kirsch: Ja, bitte.
Gunnar Barghorn: Wenn er nicht die Eier hat, mich anzurufen, dann kann er auch nicht mit großem Selbstbewusstsein vor unseren Kunden stehen und seinen Mann stehen. So, also wer Angst vor mir hat, der hat noch mehr Angst vor dem Kunden, und dann ist er nix für uns.
Nina Kirsch: Liegt nahe.
Gunnar Barghorn: Ja, so ist ein Glaubenssatz. Muss nicht stimmen, aber ich kann mit der Quote gut leben.
Nina Kirsch: Ja, und auch umgekehrt: Ich meine, du hast die 50 Prozent, die dann ins Gespräch mit euch kommen, und da wirst du ja mit Sicherheit herausgefunden haben: „Hm, überdurchschnittlich passend.“
Gunnar Barghorn: Ja, kommt vor, kommt auch nicht vor. Also das Telefonat, das kann dauern, kann aber auch sehr kurz sein. Das hängt davon ab, wohin sich das Gespräch entwickelt. Aber das ist im klassischsten Sinne noch am ehesten die Stelle, wo bei mir der Filter angeht, wo ich ganz fein ausfiltere. Ich spreche sehr schnell finanzielle Fragen an. Also was man bei uns verdienen kann. Was der andere gerne hätte, ist mir eigentlich vollkommen egal. Denn ich habe eine festgelegte Gehaltsstruktur und kann jetzt nicht für jeden neuen, der daher kommt, mir eine neue Struktur ausdenken. Das funktioniert nicht. Also kann ich nur davon reden, welche Einkommensmöglichkeiten hier bestehen, und ob er das cool findet oder nicht, muss er entscheiden.
Nina Kirsch: Ja, absolut.
Gunnar Barghorn: So und dann frage ich auch so: „Entfernung – wo wohnst du und was hast du eigentlich mal gelernt? Wo arbeitest du jetzt? Und was ist eigentlich wichtig bei der Arbeit?“ Dann kommen wir ganz schnell auf das Thema Werte. Welche Dinge sind für dich interessant, relevant? Was dürfte dir hier auf keinen Fall passieren? Und all solche Sachen. Und dann erzählen die auch recht freimütig. Ich bin auch… die Bewerbung ist schon per “Du” und ich bin auch am Telefonat von der ersten Sekunde an per “Du”. Das ist mein Gesprächspartner nicht immer.
Nina Kirsch: Ah, okay.
Gunnar Barghorn: Meistens bleiben sie beim “Sie” oder eiern ganz lange und flippen so zwischen “Du” und “Sie” hin und her. Und manche sind dann ganz am Ende beim “Du”. Manche kommen da nie an. Das ist auch total irrelevant. Wichtig für mich ist, wie gehen die mit dieser Situation um?
Nina Kirsch: Okay.
Gunnar Barghorn: Ja, und mir sind die, die konsequent beim “Sie” bleiben, durchaus sympathisch, wenn das kein Sie aus Steifigkeit ist, sondern weil sie einfach sehr viel Respekt vor der Situation haben.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Genauso wie die, die beim “Du” sehr schnell landen, einfach, weil sie sich wohlfühlen in der Situation. Beides ist total gut. Aber wer glaubt, er muss mich duzen, weil ich ihn duze, aber sich nicht wohl damit fühlt… Wer anfängt, nicht mehr authentisch zu bleiben – das höre ich raus.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Und das spreche ich dann auch an. Und das kann dann sehr schnell dazu führen, dass ich sage: „Nee, wir beide nicht, Kollege.“ Meistens ist das aber so, dass wir das cool finden und dass wir uns cool finden. Und dass er auch sagt: „Mensch, ja deine Einkommensmöglichkeiten, die sind zwar nicht allzu lecker, aber ich finde sie erst mal noch hinnehmbar. Und ich will mehr wissen.“ Wunderbar. Dann lade ich dich ein zu einem Vorstellungsgespräch und dann kommt regelmäßig von denen: „Ja, aber soll ich denn dann meine Bewerbungsmappe mitbringen?“ Ich sag: „Nee, Alter. Du hast das Ding nicht verstanden. Hey, das ist mein Vorstellungsgespräch. Ich stell mich vor, du kriegst Kaffee, sitzt da und hörst mir zu. Du hast gar kein Text.” – „Was?“ – Ich sage: “Du darfst Fragen vorbereiten, was dich interessiert und dann fragst du mich halt, aber das war’s.” – „Ach so…“
Nina Kirsch: Ist ja durchaus verständlich, dass das Prinzip vielleicht nicht direkt beim ersten Mal so ankommt.
Gunnar Barghorn: Ja, natürlich. Aber ich spiele da ja auch ein bisschen mit. Und dann kommen die zum Vorstellungsgespräch. Das heißt, ich stelle die ganze Firma vor. Und da muss man tatsächlich sagen: Bei dem, was wir mittlerweile für Mitarbeiter alles an Möglichkeiten bieten, sind wir ein heftig erklärungsbedürftiges Produkt.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Und dafür nehme ich mir dann halt die Zeit. Also so ein Vorstellungsgespräch bei uns, das geht durchaus mal eine Stunde oder anderthalb – locker. Nachdem wir schon so lange telefoniert haben, hocken wir noch mal locker mindestens so lange persönlich. Also ich investiere sehr viel Zeit in neue Kandidaten. Das ist meine oberste Aufgabe als Chef. Der Torwächter zu sein, dass hier keine Pfeifen hereinkommen.
Nina Kirsch: Ja, und du hast ja vorher auch schon mit jedem Schritt eigentlich ausgesiebt: Also mit der Sichtbarkeit bei Social Media schlägst du einen ganz bestimmten Ton an. Wem der nicht passt, der wird sich vermutlich nicht melden. Du siebst es weiter aus, indem du den gesamten Prozess umgestellt hast. Wer damit nicht zurechtkommt, wird sich vermutlich nicht melden. Dann führst du dieses Gespräch. Du siebst weiter aus. Dann stellst du dich als Unternehmen vor, im Vorstellungsgespräch und siebst weiter aus. Und so sorgst du ja dafür, dass wirklich die zum Unternehmen kommen, die mit dieser ganzen Philosophie einfach auch sehr gut umgehen können.
Gunnar Barghorn: Genau das ist der Punkt. Also, es geht immer darum: Wir brauchen Mitarbeiter, die Eier haben, die selbstbewusst sind, die wissen, was sie wollen, die ein klares Wertegerüst haben, die Transparenz und Aufrichtigkeit wichtig finden. Und das filtern wir durch diese Art des Prozesses alles raus. Und ganz natürlich.
Nina Kirsch: Absolut.
Gunnar Barghorn: Und dann, wenn das Vorstellungsgespräch gut gelaufen ist – was bedeutet, der Kandidat, der da sitzt, ist total heiß und will bei uns anfangen (das heißt für mich gut gelaufen, ich habe die Firma optimal verkauft) – dann lade ich ein. Vorausgesetzt, mir passt die Nase auch. Dann lade ich ein zum Probearbeiten.
Nina Kirsch: Aber dann arbeitest nicht du Probe bei ihm, oder?
Gunnar Barghorn: Nein. Aber das ist die einzige Chance, wie wir uns besser kennenlernen können. Also, der kommt dann für eine Woche und arbeitet hier einfach mit. Jetzt ist eine ganz beliebte Frage, ob wir das vergüten. Und meine ganz klare Antwort ist: selbstverständlich nein. Es ist schon technisch schwierig, wenn die in Lohn und Brot sind, wie soll ich das parallel zu deren Salier noch vergüten? Das haut alles irgendwie nicht hin.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Aber dann eine Woche Urlaub nehmen und hier eine Woche mitarbeiten, das funktioniert. Und das ist eine hohe Hürde für manch einen. Aber das ist auch Teil des Filterns.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Wer ist bereit, so viel Commitment zu geben und zu sagen: „Ich investiere diese Woche in diesen möglichen neuen Arbeitgeber.“
Nina Kirsch: Setzt natürlich voraus, dass deine vorigen Filter auch präzise waren.
Gunnar Barghorn: Genau, aber das funktioniert. Ich sage mal, die Praxis bestätigt uns mit diesem eigenartigen Weg.
Nina Kirsch: Absolut.
Gunnar Barghorn: So, und was passiert in dieser Woche Probearbeiten? Das erkläre ich den Kandidaten auch vorher schon. Es passieren zwei Dinge in dieser Woche. Das erste ist: die neuen oder die künftigen Kollegen für diesen Menschen. Also unsere Mitarbeiter, die mit ihm in einer Gruppe sind, die gucken sich diesen Typen ganz genau an, oder dieses Mädel. Und gucken auf die Finger, um festzustellen, von welcher Natur und welcher Qualität ist denn dieser Handwerker? Das zählt bei uns. Was kann jemand mit den Händen leisten? Wir machen übrigens ein Probearbeiten auch im Büro. Also, selbst wenn hier ein Prokurist anfangen will, muss der eine Woche Probearbeiten investieren. Das ist für beide gut, weil: Wenn du dich für einen neuen Arbeitgeber entscheidest, und das machst du auf Basis von ein oder zwei Gesprächen, welches Risiko gehst du da eigentlich auch als Arbeitnehmer ein?
Nina Kirsch: Absolut. Ich sage ja immer, ich gehe doch auch nicht zu einem Blind Date und lege dann gleich meinen Heiratsantrag hin.
Gunnar Barghorn: Nee, eben. Aber so wird es ja heute gemacht. Die lernen sich kennen und die erste Frage ist: „Wollen wir ficken?“ Also, ich finde, das geht sehr schnell.
Nina Kirsch: Ja, genau. Ich mag da oldschool sein, aber ich finde es auch ein bisschen schnell.
Gunnar Barghorn: Genau. Also man will sich ein bisschen umgarnen und so. Wir lernen uns dann eine Woche lang kennen. Vor allen Dingen die künftigen Kollegen lernen diesen Kandidaten eine Woche lang kennen, und der Kandidat lernt eine Woche lang seine künftigen Kollegen kennen, und die ganze Nummer. Und dann haben wir eine höhere Sicherheit, zu sagen: passt oder passt nicht so. Das bestimmt dann nicht der Abteilungsleiter oder ich. Ich bin ab da raus aus dem Prozess, sondern das bestimmen die künftigen Kollegen. Die sagen: Daumen hoch oder Daumen runter. Die sagen: Den wollen wir haben oder nein, lass mal, das ist scheiße. Und wenn die sagen, das wollen wir haben, dann sagen die nicht nur das, sondern sie sagen auch, wir haben dem auf die Finger geglotzt, und den kannst du einstellen in der Entgeltgruppe 4, 5, 6, 7, was weiß ich. Also die Kollegen geben auch den ultimativen Hinweis für die richtige Entgeltgruppe.
Nina Kirsch: Ja, weil die das natürlich am besten beurteilen können, was jemand fachlich wirklich auf dem Kasten hat. Das kannst du in deiner Rolle ja gar nicht. Macht ja gar keinen Sinn.
Gunnar Barghorn: Genau, und egal wie gut er mich vorher voll gelullert hat und was ich glaube, was für ein Held er ist: Spätestens, wenn er unten die Schraube nicht gerade reinkriegt, ist er durchgefallen.
Nina Kirsch: Ja, macht absolut Sinn.
Gunnar Barghorn: So also bestimmen die Kollegen, ob ja oder nein, hopp oder topp. Und sie bestimmen eben die Kohle. Damit ist nachher auch jeder Fressneid innerhalb der Belegschaft weg.
Nina Kirsch: Ja, weil natürlich auch das…
Gunnar Barghorn: Da haben die auch ein Gespür für: „Den wollen wir haben, der ist sein Geld wert.“ Dann gehen die im Vorschlag auch eine Gruppe entsprechend hoch.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Wenn du jetzt aufgepasst hast – und du hast aufgepasst -, dann hast du festgestellt, dass wir nicht einen Zettel von diesem Menschen haben. Alles, was wir haben, ist Vor- und Nachname und eine E-Mail-Adresse. Mehr habe ich nicht.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Ich weiß nicht mal, wann er geboren ist. Ich weiß gar nichts.
Nina Kirsch: Es ist ja aber auch irrelevant, was derjenige letztlich für eine Ausbildung hat oder auch nicht. Oder weiß der Geier…
Gunnar Barghorn: Nicht ganz. Frag mal die Personaler. Weil wenn jetzt das nächste kommt… Der Freitag dieser Probe-Arbeitswoche rückt näher, und für uns ist der Freitag immer das Zieldatum, einen Arbeitsvertrag als Entwurf vorzulegen. Dann kommen so entscheidende Fragen wie: „Ich muss deine Adresse einsetzen. Wie heißt der eigentlich und wo wohnt er? Und ist er verheiratet, oder nicht?“ Und was sie noch alles wissen wollen. „Und was er dir gesagt hat, er kann das alles schweißen. Wo ist der Zettel dafür?“ Das lösen wir, indem unsere Personalleitung in dieser Woche Probearbeiten zum Kandidaten hingeht und sagt: „Mensch, jupp, das war toll. Wie gefällt dir denn dein Probearbeiten? Und magst du mal das, was du so an Zettel und Unterlagen hast, morgen einfach alles mal mitbringen? Ich hau’s durch den Scanner und dann kriegst du’s wieder.“ Also möglichst niedrigschwellig. Die müssen nix schreiben, die müssen nix zusammen tackern, die müssen nichts hübsch aussehen lassen. Da können Kaffeeflecken drauf sein. Alles egal, bring mit, es geht nur um die Daten.
Nina Kirsch: Ja, eben.
Gunnar Barghorn: So, und dann fließt das alles eben in den Entwurf für einen Arbeitsvertrag rein. Und den nehmen die dann in der Regel am Freitag am Ende der Probe-Arbeitswoche mit. Und schwuppdiwupp können sie in Ruhe darüber nachdenken und entscheiden, ob sie anfangen wollen oder nicht. Dann schicken sie den unterschrieben zurück. Und kleiner arbeitsrechtlicher Tipp: Dann erst unterschreibe ich. Bitte gebt niemals einseitig unterschriebene Arbeitsverträge aus dem Haus. Ihr habt die nächsten hundert Jahre ein latent-schlummerndes Arbeitsverhältnis.
Nina Kirsch: Oh ja, allerdings. Stimmt, habe ich noch nie darüber nachgedacht.
Gunnar Barghorn: Ja, ist aber ein bisschen gefährlich.
Nina Kirsch: Ja, in der Tat.
Gunnar Barghorn: Also sollte man nicht machen.
Nina Kirsch: Ja, cool.
Gunnar Barghorn: Wenn das so kommt, dann ist das eigentlich alles schon geritzt. Also so sieht unser Prozess zum Recruiting aus. Und ganz wichtig, wir beenden diesen Prozess von beiden Seiten in genau der Sekunde, wo wir das Gefühl haben: „It’s not a match.“ Wir kommen nicht zusammen, es passt nicht. Also das Krasseste war: Ich komme die Treppe runter zum Vorstellungsgespräch, und der Kandidat steht da, und mir gehen hinten die Nackenhaare hoch. Und ich stelle fest, es geht nicht. Das geht gar nicht. Also das Telefonat war toll mit dem. Aber ich sehe den da, und es ging gar nicht. Ich weiß nicht, ob man das kennt, aber du empfängst ja auch Aura und Stimmung.
Nina Kirsch: Ja, auf jeden Fall.
Gunnar Barghorn: Und er war so steif, so eckig als Typ. Ich kann es gar nicht erklären. Auf jeden Fall bin ich auf ihn zugegangen und habe gesagt: „Du, ich glaube, das wird nichts mit uns beiden.“
Nina Kirsch: Der hat aber auch blöd geguckt, nehme ich an.
Gunnar Barghorn: Das war noch vor dem Hallo.
Nina Kirsch: Oh ja, gut, aber…
Gunnar Barghorn: Ich bin dann mit ihm so abgeschminkt Richtung Besprechungszimmer, wo wir uns hinsetzen wollten, und ich sag: „Du kannst hier gern deinen Kaffee austrinken, aber ich bin raus aus der Nummer.“
Nina Kirsch: Ja, aber auch da: Es ist halt konsequent und „Humanunternehmer“ hat ja nichts damit zu tun, wie du gesagt hast, dass ihr euch in Einhornkostüm mit Wattebäuschen beschmeißt, sondern es ist ja schon ein Unternehmen.
Gunnar Barghorn: Es geht eben auch um Effizienz auf beiden Seiten.
Nina Kirsch: Absolut.
Gunnar Barghorn: Auch das ist human. Ich bin sonst nämlich nachlässig mit seiner Zeit, wenn ich so tue, als würde das was werden.
Nina Kirsch: Ja.
Gunnar Barghorn: Und es wird aber für mich klar schon nichts mehr. Dann ist es nicht fair, ihn im Dunklen zu lassen.
Nina Kirsch: Finde ich auch, absolut.
Gunnar Barghorn: Und das Coolste war: Was sagt der Typ zu mir? „Oh, da bin ich aber dankbar, dass du das so direkt ansprichst. Mir geht es ähnlich.“
Nina Kirsch: Oh!
Gunnar Barghorn: Und dann sind wir ganz freundlich auseinander gegangen, und dann war das gut.
Nina Kirsch: Mega! Mega! Ja, absolut. Einfach einen richtigen Riecher gehabt. Das ist doch perfekt.
Gunnar Barghorn: Das ist das, wofür man Raum braucht. Wirklich ein Bauchgefühl, Menschengefühl. Und klar, mein Beruf ist der Umgang mit Menschen. Also wenn ich keine Einschätzung und Fähigkeit dazu hätte, das wäre schon scheiße.
Nina Kirsch: Na gut, dass es gekommen ist, wie es gekommen ist.
Gunnar Barghorn: Genau.
Nina Kirsch: Gunnar, ich würde mal ein Deckelchen darauf machen.
Gunnar Barghorn: Dabei haben wir noch gar nichts erhellt.
Nina Kirsch: Ja, ich habe da einen anderen Eindruck und würde vorschlagen, wir treffen uns einfach zu einem anderen Thema nochmal, weil ich nämlich auch weiß, dass du gar kein Azubi Problem hast.
Gunnar Barghorn: Nee, genau.
Nina Kirsch: Genau.
Gunnar Barghorn: Das lässt sich sehr einfach lösen, aber das verraten wir jetzt nicht. Wir teasern jetzt nicht.
Nina Kirsch: Nee, genau. Lass‘ mich schließen mit einer letzten Frage. Und zwar: Unterm Strich, also kurz zusammengefasst, welchen Tipp hast du für meine Hörerinnen und Hörer, die Fachkräftemangel und Mitarbeiterfindung umkrempeln wollen? Vielleicht ein bisschen nach deinem Vorbild? Was sollten sie auf jeden Fall tun?
Gunnar Barghorn: Einen Rollenwechsel im Kopf vornehmen und dann auch tatsächlich tun. Das heißt: Werde mal Bewerber deiner eigenen Firma und guck, wie du die eigene Firma erlebst.
Nina Kirsch: Mega.
Gunnar Barghorn: Ganz einfach, also die meisten Kaufhäuser usw. haben so diese Spion-Käufer oder wie das heißt.
Nina Kirsch: Ja, stimmt.
Gunnar Barghorn: Also diese Testkäufer. Sei doch mal Test-Bewerber deiner eigenen Firma und schreib mit: Schreib viel mit, schreib alles mit, was du denkst, fühlst und siehst.
Nina Kirsch: Das finde ich richtig cool.
Gunnar Barghorn: Nicht nur: „Ich habe eine Bewerbung hingeschickt und es passiert 14 Tage nix und ähnliches“.
Nina Kirsch: Oder 3 Monate, habe ich auch schon erlebt.
Gunnar Barghorn: Aber auch: „Ich komm als Erstes zu dieser Firma hin, also habe ich überhaupt genügend Informationen, wie ich an die richtige Stelle komme? Oder muss ich mich durchfragen? Wie sieht die Firma von außen aus? Welchen Eindruck macht der Laden?“ Ja, bis hin zu: „Wie werde ich da empfangen? Bin ich hier Karl Arsch oder werde ich auf dem Silbertablett durch die Bude getragen? Oder behandelt man mich ganz normal als Mensch?“ All diese Dinge, diese Customer-Journey: Dafür suche dir doch einen potenziellen Bewerber, und den lass das mal erleben, und dann hole die Rückmeldung dazu.
Nina Kirsch: Oder du erlebst es einfach selber. Selbst das sollte ja möglich sein.
Gunnar Barghorn: Ja.
Nina Kirsch: Also…
Gunnar Barghorn: Je nachdem, wenn die Bude ein bisschen kleiner ist, dann kennen die das ja schon, dann wird das schwierig, dann bricht das irgendwann ab.
Nina Kirsch: Ja, aber das davor: Das davor kann man durchaus.
Gunnar Barghorn: Also mit diesem kritischen Blick von außen auch die eigene Webseite mal angucken. Wie sind wir draußen, auch in den sozialen Medien? Wenn ich Bewerber wäre, würde mich das antörnen oder törnt mich das ab?
Nina Kirsch: Das ist ja witzigerweise auch … – oder, was heißt witzigerweise? Logischerweise ist das ein Punkt auch auf unserer Checkliste: Aus Bewerbersicht, würdest du einem Freund von dieser Stellenanzeige berichten? Ja oder nein? Da kommt schon so mancher ins Grübeln. Okay, also unterm Strich: Werde mal Bewerber deines eigenen Unternehmens – als Tipp, um da einfach in diesen Paradigmenwechsel hereinzukommen.
Gunnar Barghorn: Und dann frage dich, wie kannst du es dem Bewerber möglichst einfach machen? Also immer auf den Aspekt der Faulheit achten, das finde ich ganz wichtig. Nicht nur: Gefällt das, sondern mache ich es dem leicht? Wie barrierefrei ist das? Wie sehr schlittert er dahin? Oder muss der viel tun?
Nina Kirsch: Customer-Journey.
Gunnar Barghorn: Genau. Was für ein… was für eine Klientel habe ich? Wir haben Metallhandwerker: Das sind keine Mund- oder Schreibwerker, die haben keinen Bock, irgendwie Bewerbung oder ein Anschreiben zu verfassen. Da brechen die sich die Finger. Das haben die am Ende sowieso nicht selber geschrieben. Was soll ich mit dem Scheiß?
Nina Kirsch: Stimmt sogar, ja.
Gunnar Barghorn: Da mal drüber nachdenken, diese ganzen Gepflogenheiten über Bord werfen. Denkt das Ding mal neu.
Nina Kirsch: Punkt.
Gunnar Barghorn: Genau.
Nina Kirsch: Lieber Gunnar, es war einfach mega spannend. Ich tauche so gerne ein in deine Welt. Ganz, ganz lieben Dank, dass du uns mitgenommen hast. Und ich würde sagen, genau, dann treffen wir uns einfach nochmal und behandeln noch ein anderes Thema.
Gunnar Barghorn: Machen wir sehr gerne. Wir setzen einfach noch einen drauf.
Nina Kirsch: Spitzenmäßig. Ich danke dir, lieber Gunnar. Hab einen guten Tag.
Gunnar Barghorn: Dankeschön, tschüss!
Nina Kirsch: Bis dann, ciao!
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